Commerzbank-Chefvolkswirt
EZB wird in Staatsfinanzierung gelockt
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München - Eine Leitzinssenkung mit Negativzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach Ansicht des Chefvolkswirts der Commerzbank, Jörg Krämer, ökonomisch unsinnig.
Ökonomisch macht eine Leitzinssenkung mit Negativzinsen für Bankeinlagen keinen Sinn, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, im Interview mit dem "Münchner Merkur". Auch ein schwächerer Euro würde die Konjunktur in der Eurozone nicht nachhaltig beleben. Eigentlicher Zweck der Forderungen nach einer weiteren Lockerung der Geldpolitik sei es, die EZB zum Einstieg in die Staatsfinanzierung zu bewegen.
Jörg Krämer: Nein, im Gegenteil. Insbesondere die Bürger in den Krisenstaaten des Euroraums können sich freuen, dass die Preise jetzt etwas fallen, nachdem sie in den Boomjahren zuvor stark gestiegen waren. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer. Das ist uneingeschränkt positiv.
Krämer: Dem Euroraum droht kein drastischer Preisverfall auf breiter Basis. Die Warnungen vor Deflation erfüllen nur den Zweck, die Europäische Zentralbank weichzukochen, damit sie nicht nur ihre Leitzinsen senkt, sondern auch Staatsanleihen aller Mitgliedsländer kauft. Das würde vor allem den Finanzministern der hochverschuldeten Länder helfen und Italien darin bestärken, dringende Reformen nicht anzupacken.
Krämer: Nein, das hilft der Wirtschaft nicht. Tatsächlich ist eine weitere Leitzinssenkung ein Kompromiss zwischen den Vertretern der südeuropäischen Staaten, die den Einstieg der EZB in die Staatsfinanzierung wollen, und der Bundesbank, die dieses Vorhaben strikt ablehnt.
Krämer: Voraussichtlich ja. Doch das wird die Banken in den Krisenstaaten nicht dazu bewegen, ihren Unternehmen mehr Kredite zu gewähren. Die Institute halten sich nämlich deshalb zurück, weil sie immer noch unter hohen Kreditausfällen leiden und faule Kredite bislang nicht ausreichend abgeschrieben haben.
Krämer: Wiederum die Finanzminister. Denn die Aussicht auf negative Leitzinsen hat bereits die Renditen von Staatsanleihen gesenkt. Italien zahlt schon jetzt weniger Zinsen als vor Ausbruch der Staatsschuldenkrise.
Krämer: Nein, trotz einiger Erfolge in Spanien, Portugal und Irland sind die Ursachen der Staatsschuldenkrise in der Breite noch nicht gelöst, besonders nicht im reformresistenten Italien. Die Staatsschuldenkrise ist lediglich durch die Ankündigung der EZB übertüncht, im Notfall unbegrenzt Anleihen einzelner Krisenländer zu kaufen. Die EZB hat eine Art Schutzschirm gespannt und so eine künstliche Nachfrage nach den im Vergleich zu Bundesanleihen höher rentierenden Staatsanleihen der Krisenländer ausgelöst. Die niedrigen Renditeaufschläge spiegeln nicht die wahren Risiken wider.
Krämer: Die Verbraucherpreise werden noch lange nur wenig steigen. Dagegen werden die Vermögenspreise, also die Preise von Aktien oder Immobilien, tendenziell weiter kräftig zulegen. Die Menschen in Großstädten wie München bekommen dies deutlich zu spüren. Steigende Immobilienpreise führen auch zu höheren Mieten und unterhöhlen die Kaufkraft der Städter.
Krämer: Der Euro ist nicht zu stark. Das ist eine Behauptung französischer oder italienischer Politiker, die nicht bereit sind, die massiven strukturellen Probleme in ihren Ländern anzugehen. Vielmehr schieben sie den schwarzen Peter der EZB zu. Aber eine Abwertung des Euro löst keine realen wirtschaftlichen Probleme und schafft keinen nachhaltigen Aufschwung. Eine Abwertung erzeugt allenfalls ein Strohfeuer.
Krämer: Die Märkte wären sicherlich enttäuscht. Die Kurse von Aktien und Staatsanleihen würden fallen, der Euro dagegen vermutlich aufwerten. Doch ich bin ziemlich sicher, dass die EZB der Deflationsrhetorik nachgibt und die Zinsen senkt.
Interview: Jörg Billina
Rubriklistenbild: © dpa