Markus Lanz: Beim Talk im ZDF sind sich bei einer Sache alle einig

Markus Lanz (ZDF) versammelt mit Henrik Streeck und Karl Lauterbach geballte Corona-Expertise um sich.
- Bei Markus Lanz* (ZDF) wurde wieder kontrovers diskutiert
- Gäste bei Markus Lanz waren unter anderem Karl Lauterbach (SPD) und der Virologe Hendrik Streeck
- Markus Lanz Argumentation lässt Streecks Forderung nach Wiedereröffnung nicht überzeugend klingen
Frankfurt - Okay, an dieser Stelle ist man Kritik an Markus Lanz (ZDF*) gewohnt. Also handeln wir diesen Teil doch hier vorne schnell ab: Gerade, als man sich wirklich freute, einen fundierten, fakten-basierten, lehrreichen Talk mitanzuhören, in dem Lanz auch tatsächlich kluge Nachfragen stellte und informierte Zwischenbemerkungen einwarf (Hätten Sie den Namen des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers spontan gewusst?), genau da meinte der Moderator plötzlich und völlig unprovoziert zu seinen beiden Virologen-Gästen: „Denn heute wollen wir ein bisschen versuchen, Ihnen beiden auch mal zuzuhören.“
Markus Lanz (ZDF) möchte zuhören und liefert eine solide Sendung
Es ist einer dieser Momente, wo man tausendfach Handflächen auf Stirne klatschen hört. Hört er sonst nicht zu? Beide waren schon zahlreich in der Sendung, aber heute will er versuchen, auch mal zuzuhören? Selbst an Lanz‘ besten Tagen können ihm solche kuriosen Selbst-Beinschüsse passieren. Aber wissen Sie was? Das war‘s. Das war das einzige Fettnäpfchen, in das er in dieser sehr soliden Sendung getapst ist, und auch wenn dieser kleine Fauxpas noch so symbolisch und lustig ist – heute hat Markus Lanz mal wieder Lob verdient.
Denn fast alle Talkshows haben in diesen Zeiten einen Virologen quasi als wissenschaftliches Feigenblatt in der Runde sitzen, der eine Grundbasis an Fakten schafft. Aber das Panel mit zwei unterschiedlich orientierten Virologen, einem Medizinhistoriker und einer Journalistin zu besetzen, die allesamt nur über die komplexen Herausforderungen vor und hinter den Kulissen des Wissenschaftsbetriebs in Corona-Zeiten* sprechen, das ist ein tatsächlich interessanter Perspektivwechsel.
Bei Markus Lanz im ZDF: Lauterbach und Streeck berichten von Morddrohungen
Anstatt Stichworte über Infektionszahlen oder Übertragungsraten in die Runde zu werfen, erzählen Karl Lauterbach und Hendrik Streeck bei Markus Lanz im ZDF* von Klage-Einreichungen, Morddrohungen und Schikane gegen diese derzeit eigentlich so wichtigen Experten – und von einer Politik, die sich in kontroversen Fragen zurückgezogen und die Wissenschaftler in der vordersten Schusslinie allein gelassen hat.
Es wird auch halbwegs klar, worin sich die Experten grundsätzlich einig sind und wo die Streitlinien verlaufen. Lauterbach, dem die eine Hälfte der Bevölkerung (und Presse) Schwarzmalerei und Panikmache vorwirft, macht überzeugende Argumente, warum man die Menschen vor besorgniserregenden Worst Case Scenarios in Sachen Langzeitfolgen für Erkrankte und Infektionswelle bei Schulöffnung ganz ehrlich warnen sollte. Streeck, dem die andere Hälfte der Bevölkerung vorwirft, die Corona-Gefahr kleinzureden, kann nicht ganz so überzeugend darlegen, warum ein Blick auf die Zahlen uns die Angst nehmen sollte, oder wie und warum wir „ab jetzt lernen müssen, mit dem Virus zu leben“. Gemeinsam mit dem Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven scheint er eine Art anderes Denken inspirieren zu wollen, eine Befreiung vor allzugroßer Angst und übertriebener Vorsicht. Auf jeden Fall ist es beruhigend zu sehen, dass beide bei Markus Lanz nur unterschiedliche Interpretationen der gleichen Studien vornehmen, weiterhin voreinander Respekt haben und beide nachvollziehbar bleiben.
Bei Markus Lanz im ZDF: Karl Lauterbach spricht von „zweiter Welle“
Der interessanteste Streitpunkt war sicherlich Lauterbachs Warnung vor einer ganz anderen „zweite Welle“: Zehn Jahre nach der spanischen Grippe hat eine Epidemie an Gehirnentzündung viele der Genesenen dahingerafft. Und gewisse neurologische Langzeiteffekte lassen die Sorge aufkommen, dass es bei Covid-19 ähnliche Spätfolgen bei überlebenden Patienten mit schwerem Verlauf geben könnte – immerhin 5-9% aller Erkrankten. Und auch die von Markus Lanz genau richtig positionierten Verläufe aus Staaten mit wieder rapide ansteigenden Fallzahlen aufgrund von verfrühter Öffnung lassen Streecks Forderung nach versuchsweiser Öffnung von Großveranstaltungen nicht gerade überzeugend klingen. Leven und er hielten sich viel mit „Aber schauen Sie doch mal all diese anderen Probleme an“-Argumenten auf, ohne jemals einen wirklich stringenten Plan zu formulieren, wie es weitergehen könnte.
Erstausstrahlung | 3. Juni 2008 |
Sender | ZDF |
Sprache | Deutsch |
Besetzung | Markus Lanz |
Nominierungen | Deutscher Fernsehpreis für das Beste Infotainment / Talksendung |
Aber in einer Sache waren sich bei Markus Lanz dann doch alle einig, auch die Journalistin Cerstin Gammelin: Die Maßnahmen in Deutschland waren bisher sinnvoll und erfolgreich. (Levin nennt sie sogar „alternativlos“, scheinbar ohne sich der problematischen Geschichte dieses Begriffs in der Ära Merkel bewusst zu sein.) Und am Ende zitierte Streeck den Bundesgesundheitsminister Spahn mit einem untypisch profunden Ausspruch: „Wenn all das vorüber ist, werden wir uns gegenseitig einiges vergeben müssen.“ Es ist gut zu sehen, dass es zumindest unter Virologen bei aller unterschiedlicher Meinung noch zu respektvollen Streitgesprächen und versöhnlichen Momenten kommt. Davon können sich die anderen Bereiche der Gesellschaft durchaus eine Scheibe abschneiden. *fr.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks
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