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Ruhpoldings Vorsitzender Herbert Fritzenwenger: Diskussion um China ist „jetzt scheinheilig“

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Spricht Klartext: Herbert Fritzenwenger.
Spricht Klartext: Herbert Fritzenwenger. © bst

Ohne die Ehrenamtlichen geht nichts! Das ist beim Weltcup in der Ruhpoldinger Chiemgau-Arena klar geworden. Der Vorsitzende des SC Ruhpolding, Herbert Fritzenwenger im Interview.

Ruhpolding – Auch wenn beim Geister-Weltcup in Ruhpolding deutlich weniger ehrenamtliche Helfer als sonst benötigt wurden und aufgrund der strengen Hygiene-Auflagen sowieso nur ein ganz kleiner Kreis in die Chiemgau-Arena durfte, wurde eines in diesen Weltcup-Tagen doch auch wieder ganz deutlich: Ohne die Ehrenamtlichen geht nichts! Der Vorsitzende des SC Ruhpolding, Herbert Fritzenwenger, dankte den Helfern im Interview deshalb auch ausdrücklich. Der Vizepräsident des Ruhpoldinger Organisationskomitees, der auch als ZDF-Experte in seinem Heimatort im Einsatz gewesen ist, blickte aber auch mit einigen Sorgen in die Zukunft seines Vereins und des Sports allgemein.

Sie haben im Rahmen des Weltcups große Sorgen geäußert, dass im Zuge der Pandemie eine ganze Generation von jungen Wintersportlern verloren gehen könnte. Ist dieses Szenario noch zu verhindern?

Herbert Fritzenwenger: Das hängt jetzt davon ab, welche Maßnahmen erlaubt werden und welche nicht. Wenn wir jetzt die Kinder regelmäßig trainieren dürfen, dann sehe ich schon noch die Möglichkeit, dass wir nichts verlieren werden. Gerade das letzte Jahr war aber wirklich dramatisch. Durch die ganze Pandemie und wie man letztlich damit umgegangen ist, sind sehr viele Kinder lethargisch geworden und haben sich mehr den elektronischen Medien zugewandt, anstatt sich draußen zu bewegen. Wenn dann mit jeder neuen Verordnung etwas kommt, um die Bewegung im Freien zu reglementieren, dann ist das widersinnig. Es ist wichtig, dass wir die Kinder bewegen dürfen. Aber es gibt jetzt erste Signale, dass das besser werden wird.

Positiv ist auf jeden Fall, dass ungeimpfte oder nicht-genesene Kinder und Jugendliche jetzt nicht in den “Sport-Lockdown„ müssen, sondern für sie weiter eine Ausnahmeregelung gilt...

Fritzenwenger: Das ist gut! Mit dieser Regelung haben wir jetzt ein Instrument an der Hand, mit dem die ehrenamtlichen Trainer wieder tätig werden dürfen. Wir sind auch fleißig dabei, neue Kinder für den Wintersport zu gewinnen. Allerdings haben wir erst wieder eine Schulsport-Aktion mit 80 Skisprung-Interessenten absagen müssen, weil sich die Klassen vermischt hätten. Jetzt werden wir versuchen, auf anderen Wegen und in vielen kleinen Schritten, die Aktion doch noch hinzubekommen. Aber es ist alles unendlich mühsam und frustrierend.

Haben andere Nationen nicht das gleiche Problem?

Fritzenwenger: Mein Gefühl ist: In den Ländern, in denen ich unterwegs war, interessiert das niemanden. In Frankreich, in Italien, in Schweden oder in Norwegen wird mit den Kindern trainiert. Ich weiß jetzt aber nicht, wie dort die Vorgaben sind.

Weil Sie Frankreich erwähnt haben: Der Biathlon-Weltcup dort fand mit Fans statt. Wie beurteilen Sie die Entscheidung, dass in der Chiemgau-Arena coronabedingt die Tribünen komplett leer bleiben mussten?

Fritzenwenger: Aus Sicht der Regierung ist die Entscheidung nachvollziehbar. Aus der Sicht des Vereinsvorsitzenden sehe ich das differenzierter. Wir sind im Freien und wir hätten hier sicherlich die Abstände halten können. Aber ich weiß: Der Weg zum Stadion ist kritisch. Aber wir fahren auch Millionen Menschen täglich in Bussen und U-Bahnen hin und her. Die 7500 Zuschauer, die zuletzt bei uns in der Diskussion standen, hätten also das Pandemie-Geschehen wesentlich beeinträchtigt? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber das ist ein schwieriges Thema.

Sie haben auch gesagt, dass das Überleben des Vereins von den Einnahmen des Weltcups abhängt. Wie kritisch ist die Situation für den SC Ruhpolding?

Fritzenwenger: Wir haben uns über die Jahrzehnte eine Struktur aufgebaut, die auf den Einnahmen dieser Veranstaltung basieren. Wenn das wegbricht, dann sind wir natürlich in unserer Existenz bedroht. Den Verein auf dem Papier wird es aber freilich weiter geben. Wir müssten halt im schlimmsten Fall alles herunterfahren, aber dabei geht es auch um Arbeitsplätze.

Was muss der SC Ruhpolding denn alles stemmen?

Fritzenwenger: Wir haben ja einen Riesen-Apparat im Hintergrund. Wir haben etwa eine Verwaltung, die hauptamtlich tätig ist. Das Café Biathlon sollen wir ganzjährig betreiben. Wir müssen die kleinen Schanzen und den kleinen Schießstand unterhalten. Wir müssen fünf Busse finanzieren. Wir haben circa zehn Trainer – und das alles kostet Geld.

Ein Lichtblick ist die Sommer-Biathlon-WM, oder?

Fritzenwenger: Auf jedem Fall! Daran ziehen wir uns jetzt hoch. Wir haben für dieses Jahr schon wieder ein Notfall-Budget im Kopf. Es wird uns auch gelingen, dass wir auch dieses Jahr mit dem reduzierten Budget überstehen. Die Sommer-WM, so hoffen wir, bringt dann einen kleinen Ausgleich. Die Einnahmen dort werden aber sicher nicht vergleichbar sein mit denen beim Weltcup. Sie wird uns aber entlasten.

Vor leeren Rängen, abgesehen von den Helfern, musste der Weltcup in Ruhpolding stattfinden.
Vor leeren Rängen, abgesehen von den Helfern, musste der Weltcup in Ruhpolding stattfinden. © picture alliance/dpa

War dieses Heimspiel etwas Besonderes für Sie?

Fritzenwenger: Dieses Jahr ist das sehr wohl etwas Besonderes gewesen. Es war einfach wahnsinnig schwierig alles. Wir hatten nur gut ein Viertel des Personals zur Verfügung, wir sollten aber die gleiche Qualität abliefern. Für einige, die das jetzt umsetzen mussten, war das einfach nur stressig. Ich bin allen sehr, sehr dankbar, dass sie sich so eingesetzt haben und dafür gekämpft haben, dass die Veranstaltung so toll über die Bühne gehen konnte. Ich bin auch froh, wenn dieser ganze Mist endlich vorbei ist und wir wieder normaler agieren können. Das war jetzt nur ein „Augen zu und durch“ und macht niemandem Spaß.

In wenigen Tagen starten die Olympischen Winterspiele. Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Biathlon-Mannschaft in Peking ein?

Fritzenwenger: Bei den Männern gar nicht schlecht. Sie haben konstant gute Laufleistungen gebracht. Damit sind sie in der Lage, wenn sie auch noch gut schießen, eine Medaille zu machen. Wenn es top läuft, dann ist auch was in der Staffel möglich. Bei den Frauen sieht es anders aus. Da wird eine Denise Herrmann, davon bin ich überzeugt, wieder zur Medaillenkandidatin reifen. Ich hoffe auch, dass Franziska Preuß rechtzeitig in Form kommt, dann ist sie auf jeden Fall auch eine Kandidatin für ganz vordere Plätze. Bei der Staffel der Frauen wird es selbst in Bestbesetzung schwierig. Aus heutiger Sicht wäre eine Medaille eine Überraschung. In der Mixed-Staffel zählen wir auf alle Fälle zu den Medaillenkandidaten.

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Das Damoklesschwert Corona schwebt über den Spielen...

Fritzenwenger: Das schwebt schon den ganzen Winter über allen Teams! Ich glaube aber, wenn wir uns in dieser Blase in China befinden, wird es keinen sichereren Ort auf der ganzen Welt geben. Klar muss aber im Vorfeld sein, welche Grenzwerte bei den Tests gelten.

Hätte man die Spiele in China boykottieren sollen?

Fritzenwenger: Ich finde die ganze Diskussion, die jetzt um China entstanden ist, scheinheilig. Man hätte mit dem IOC damals vor neun Jahren, als die Spiele dorthin vergeben wurden, diese Diskussion führen müssen. Jetzt geht es doch nur darum, Schlagzeilen zu produzieren – und das alles wird auf dem Rücken der Sportler ausgetragen.

Aber ist es nicht gut, wenn Sportler eine eigene Meinung haben?

Fritzenwenger: Doch! Aber ich kann doch niemanden, der vier Jahre auf diese Spiele hintrainiert hat, jetzt fragen, ob es nicht besser wäre, das Ganze abzusagen. Für das Grundsätzliche ist die Sportpolitik zuständig und da sollen sich die hohen Herren mal an der Nase fassen. Diese Diskussion hätte man vorher führen sollen.

Reisen Sie nach Peking?

Fritzenwenger: Ja, wir sind ein sehr kleines Team, das sich entschieden hat, nach Peking zu fliegen. Ich will ganz bewusst vor Ort sein und verlasse mich nicht auf Google oder irgendwelche Facebook-Einträge. Ich will das selbst sehen und mich nicht über drei Ecken informieren lassen.

Interview: bst

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