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Hungerstreik in Waldkraiburg: Warum ein kurdischer Flüchtling gegen die Behörden protestiert

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Von: Jörg Eschenfelder

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Vor mehr als zwei Jahren floh Azad M. aus der Türkei. Er konnte seinen zwei-jährigen Sohn noch nie im Arm halten, kennt ihn nur vom Smartphone.
Vor mehr als zwei Jahren floh Azad M. aus der Türkei. Er konnte seinen zwei-jährigen Sohn noch nie im Arm halten, kennt ihn nur vom Smartphone. © Eschenfelder

Der Kurde Azad M. floh aus Angst vor Folter zu Fuß aus der Türkei nach Deutschland. Er hat hier Arbeit und möchte sich ein neues Leben aufbauen. Doch die Behörden stellen sich quer.

Waldkraiburg – Azad M. versteht die Welt nicht mehr. Er ist verzweifelt, sehnt sich nach Sicherheit, Frieden sowie nach seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn, den er noch nie im Arm halten konnte. Azad, der nicht so heißt, aber seinen Namen aus Angst vor Verfolgung nicht in der Zeitung sehen möchte, fühlt sich hilflos. Er hat sich im deutschen Behördennetz verfangen. Deshalb verweigert er seit drei Wochen jegliche Nahrung.

Zu Fuß von Türkei bis nach Passau

Azad ist Kurde und - wie alle in seiner Heimatstadt Sympathisant der politischen Forderungen nach Unabhängigkeit der Kurden. Mit Gewalt und Terrorismus hat er nichts am Hut. Dennoch: 2016 haben ihn türkische Polizisten festgesetzt und gefoltert. Da sie nichts nachweisen konnten, wurde er freigelassen. Als 2018 plötzlich ein Haftbefehl gegen ihn erging und floh zu Fuß nach Deutschland. Ende Juni 2020 beantragte er in Passau Asyl.

Den Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat er alles erzählt. Am 30. März 2022 wurde für ihn ein Abschiebeverbot festgestellt. Azad, der inzwischen in Waldkraiburg in der Gemeinschaftsunterkunft lebt, ist geduldet. Azad, der Elektrotechnik studiert hatte, arbeitet jetzt als Hilfskraft auf dem Bau, verdient sein eigenes Geld.

Azad atmete auf. Sein Leben bekam wieder Sinn und ein Ziel: Frau und Sohn, die er seit Jahren nur noch vom Smartphone her kennt, nach Deutschland holen, hier ein neues Leben aufbauen.

Anfang August beantragten seine Rechtsanwältin einen Reiseausweis für Ausländer und Azad eine Aufenthaltserlaubnis.

Für die Aufenthaltserlaubnis braucht Azad einen Reisepass. Den gibt es aber nur im türkischen Konsulat. Dort muss er persönlich erscheinen. Doch wenn er das Konsulat betritt, ist er juristisch in der Türkei. Die Folge: Verhaftung, lebenslänglich Gefängnis und wohl erneut Folter. Aber ohne Pass keine Aufenthaltserlaubnis.

Das Landratsamt Mühldorf verweigert „aus datenschutz- und sicherheitsrelevanten Gründen“ dazu eine Stellungnahme und fährt fort: Alternativ gebe es die Möglichkeit „über Verwandte oder sogenannte Vertrauensanwälte im Heimatland“ an ein Reisedokument zu kommen oder unter bestimmten Voraussetzungen über das Landesamt für Asyl und Rückführung.

Ende September kam es noch schlimmer

Ende September kam es noch schlimmer. Mit Schreiben vom 21. September an die Azads Anwältin verweigerte das Ausländeramt die Aufenthaltserlaubnis: „Im vorliegenden Fall rechtfertigen schwerwiegende Gründe die Annahme, dass Ihr Mandant für die terroristische Organisation PKK in unterstützender Weise aktiv die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und seine die Sicherheit des Staats gefährdende Bestätigung auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen wird.“

Azad sitzt gebeugt und mit stumpfem Blick in seiner Dachkammer, die er sich mit einem Mitbewohner teilt. Eine bunte Tagesdecke liegt auf dem Bett. Darüber hängt ein grün-gelber Fanschal des türkischen Fußballvereins Amed Sportif. Auf dem einfachen Tisch stehen ein Wasserkocher, Tassen und Instantkaffee. Durch die Gaube fällt Licht in die Kammer.

„Ja“, sagt Azad, er sei für die politischen Ziele der Kurden in der Türkei, aber er lehne Gewalt ab. Das hat er nie verschwiegen. „Ja“, er hat in Waldkraiburg andere Kurden getroffen, mit ihnen geredet. Wie man in der Fremde eben losen Kontakt mit Landsleuten pflegt.

Vorwürfe bleiben im Vagen

Wie kommt dann das Ausländeramt zu der Ansicht, Azad sei ein Staatsfeind, sei des Terrors verdächtig? „Aus datenschutz- und sicherheitsrelevanten Gründen können wir auf die oben genannten Fragen keine Auskunft geben“, antwortet das Landratsamt auf eine entsprechende Nachfrage.

Während sich vor der Gemeinschaftsunterkunft die Blätter der Bäume färben und auf die Straßen fallen, ergibt sich nach gut vier Wochen vielleicht doch noch ein Lichtblick: Azad hat inzwischen einen neuen Anwalt. Der sieht noch Chancen. Es wird nicht leicht, aber zumindest ist wieder so viel Licht am Ende des Tunnels, dass Azad seit zwei Tagen wieder isst.

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