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„Katastrophe“: Viele wichtige Medikamente werden in der Region knapp - Das raten Apotheker

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Von: Christa Latta

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Thomas Leitermann, Pressesprecher der Apotheken im Landkreis Mühldorf, vor dem Medikamenten-Lagerautomaten in seiner Inn-Apotheke.
Thomas Leitermann, Pressesprecher der Apotheken im Landkreis Mühldorf, vor dem Medikamenten-Lagerautomaten in seiner Inn-Apotheke. © Latta

Apotheken-Sprecher Thomas Leitermann erklärt, wie es zu der Knappheit an Arzneien kommt, welche Folgen das für Patienten haben kann und schildert wie er und seine Kollegen täglich damit zu kämpfen haben.

Mühldorf – „Es ist momentan eine Katastrophe“, sagt Thomas Leitermann, Pressesprecher der Apotheker im Landkreis zur derzeitigen Knappheit an vielen wichtigen Medikamenten.

„Es passiert nicht nur ein paar Mal die Woche, sondern mehrmals pro Stunde, dass wir verschriebene Medikamente nicht auf Lager haben oder noch nicht mal bestellen können.“

„Schlimmer als eine Online-Auktion“

Der Leiter der Inn-Apotheke Mühldorf schätzt, dass derzeit jedes fünfte bis siebte von seinen Kunden vorgelegte Rezept nicht so erfüllt werden kann, wie es vom Arzt notiert wurde. „Das betrifft alle gängigen Medikamente wie etwa zwei besonders häufig eingesetzte Antibiotika, Cholesterin- und Blutdrucksenker“, zählt Leitermann auf. „Sogar bei frei verkäuflichen fiebersenkenden Säften und Zäpfchen für Kinder wird es knapp und ganz besonders bei Elektrolytlösungen, die man bei Kindern als erstes Mittel gegen Durchfall gibt.“

Ein Grund für die Lieferengpässe: Im Jahr 1989 wurden Festbeträge für Arzneimittel eingeführt (siehe Kasten). „Die Preise für einzelne Arzneimittel sind so niedrig angesetzt, dass es sich für viele Hersteller nicht mehr rentiert, sie zu produzieren“, so der Apothekersprecher. Als Beispiel nennt er Fieberzäpfchen, bei denen zehn Stück rund einen Euro kosten. Da bleibt beim Produzenten mit Fixkosten für Posten wie Qualitätskontrolle, Verpackung und Vertrieb nicht mehr viel hängen.

Andere Hersteller haben sich auch aus den üblichen Handelswegen ausgeklinkt und lassen Apotheker direkt bei sich bestellen, wobei das jeweilige Rezept oft zeitaufwendig extra nachgewiesen werden muss.

Die Nachschubprobleme bescheren den Apothekern viel zusätzlichen Arbeitsaufwand. „Haben wir ein bestimmtes Medikament nicht vorrätig, überprüfen wir, ob es lieferbar oder bei gleichem Wirkstoff und gleicher Stärke mit dem Produkt eines anderen Herstellers austauschbar ist“, beginnt Thomas Leitermann mit der Aufzählung der Schritte. „Gibt es eine Alternative mit anderem Wirkstoff und anderer Stärke muss Rücksprache mit dem Arzt erfolgen.“ Hat man das passende Präparat gefunden und mit dem Arzt abgeklärt, ist es aber oft schon nicht mehr bestellbar. „Das passiert schon innerhalb von wenigen Minuten, schlimmer als bei einer Online-Auktion“, so Leitermann. Für die Beratung der Kunden sei insgesamt deutlich mehr Personal nötig.

Erhöht den Arbeitsaufwand enorm

Christina Beckel, Stadtapotheke Neumarkt-St. Veit.
Christina Beckel, Stadtapotheke Neumarkt-St. Veit. © privat

„Auch wir haben täglich mehrmals mit der Mangellage zu kämpfen“, Christina Beckel von der Stadtapotheke Neumarkt-St. Veit kann all diese Probleme nur bestätigen. „Werden Präparate bestimmter Hersteller gewünscht, muss der Kunde schon mal längere Lieferzeiten in Kauf nehmen.“ Oft könne man noch Alternativen finden oder auch nach Rücksprache mit dem Arzt den Wirkstoff umstellen. „Der Arbeitsaufwand für uns hat sich enorm erhöht“, klagt Beckel. Manche gängigen Medikamente, wie Fiebersäfte für Kinder, hat sie breit gefächert und frühzeitig auf Vorrat bestellt.

Dr. Barbara Maier, Leiterin der Zentralapotheke am „InnKlinikum“.
Dr. Barbara Maier, Leiterin der Zentralapotheke am „InnKlinikum“. © InnKlinikum

„Wir führen eine interne Statistik darüber, wie viele Bestellungen nicht innerhalb von ein bis zwei Tagen bei uns eintreffen“, gibt Dr. Barbara Maier, Leiterin der Zentralapotheke am „InnKlinikum“ Altötting, Auskunft. „Laut dieser Statistik verzeichnen wir 2022 im Vergleich zu 2021 eine Steigerung um rund 20 Prozent.“

Auch Klinik-Apotheke ist betroffen

Mit diversen Vorkehrungen sorgt die Klinik dafür, dass sich Engpässe nicht auf die Patientenversorgung auswirken. „Das reicht von Verhandlungen mit Herstellern über feste Kontingente, über vorausschauende Planung, bis hin zu einer überdurchschnittlichen Bevorratung kritischer Medikamente, sodass diese teilweise für mehrere Monate ausreichen“, so Maier. „Um Lieferabrisse frühzeitig zu erkennen, wird unser Lagerbestand feinmaschig überwacht. Bei Bedarf kann die Apotheke Arzneimittel auch selbst herstellen.“

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Laut Gesetzgeber müssen Krankenhausapotheken den durchschnittlichen Arzneimittelbedarf von zwei bis drei Wochen bevorraten. Das „InnKlinikum“ hat sich laut Maier allerdings schon frühzeitig entschieden, die Bestände zu erhöhen und Medikamente für einen deutlich längeren Zeitraum zu bevorraten, um die Patientenversorgung zu sichern.

Rund 300 Medikamente sind gar nicht oder nur mit Verzögerung lieferbar

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet aktuell rund 300 Medikamente auf, die gar nicht oder nur mit Verzögerung lieferbar sind. Diese Liste wird jeden Tag länger. Ein Grund für die Lieferengpässe ist, dass die Herstellung von sogenannten Generika-Produkten meist nicht mehr wirtschaftlich ist. Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt gebracht werden. Ein Generikum muss dem Original in Darreichungsform, Wirkstoff und Wirkstärke gleichen. Die Bioverfügbarkeit von Generikum und Originalpräparat darf nur minimal voneinander abweichen. Quelle: Lexikon - AOK-Bundesverband, www.aok-bv.de

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