1. innsalzach24-de
  2. Bayern
  3. Landkreis Traunstein

Wie war die Stimmung bei „Jetzt red i“ zu Wolf und Bär? Bauern und Naturschützer auf Tuchfühlung

Erstellt:

Von: Katrin Langenwalter

Kommentare

Landtagsabgeordneter Hierneis und Landschaftsministerin Kabiber bei jetzt red i in Bergen.
Bei „Jetzt red i“ hatte der Bayerische Rundfunk zum Thema Wolf und Bär in den Festsaal Bergen geladen. Auf dem Podium saßen Landwirtschaftsministerin Michela Kaniber und Landtagsabgeordneter der Grünen und Sprecher für Umweltschutz und Tierschutz, Christian Hierneis. © Katrin Langenwalter

Heiß – so ist nicht nur die Debatte zum Thema Wolf und Bär im Landkreis Traunstein – im Festsaal Bergen heizten zusätzlich die Studioleuchten des Bayerischen Rundfunks den Raum und die Gemüter auf. Am Mittwoch (24. Mai) stand bei so manchem Gast der Live-Sendung „jetzt red i“ der Schweiß auf der Stirn und die Unzufriedenheit im Gesicht. Wir waren vor Ort und haben für euch die Stimmung des Abends eingefangen.

Bergen – Es regnet in Strömen. Die Straße zwischen Bernhaupten und Bergen ist gesperrt. Wer früh genug dran ist, ergattert noch einen Parkplatz vorm Bergener Festsaal zwischen den Übertragungswägen des Bayerischen Fernsehens. Das Team der Sendung ist schon lange da: zum Aufbau ihres Studios und auch zur Vorbesprechung mit einigen Gästen am Vorabend (23. Mai). Es ist 18.45 Uhr, die ersten Redewilligen trudeln ein - trotz Wetter und Straßensperre.

Gäste des Abends sind überwiegend Bauern

Vielleicht oberflächlich: Aber man kann schon erahnen, wer an dem Abend die größere Fraktion stellen wird. Trachtenhüte mit Gamsbärten, bunte Dirndlgwander und Krachlederne - Die Almbauern sind da. Und man kennt sich untereinander. Da wird gegrüßt, gescherzt und erst mal ein Bier an der Theke bestellt. Zwischendrin aber auch immer mal wieder Gäste in “zivil“. Ob das die Naturschützer sind?

Hohe Prominenz: Polizei vor Ort wegen Landwirtschaftsministerin Kaniber

Am Eingang des Festsaales stehen zwei Polizeibeamte: Auf die Frage, ob sie denn wegen der kontroversen und emotionalen Debatte zum Thema Wolf mit Ausschreitungen rechnen, beruhigen sie aber: Es sei wegen der Kaniber. Ansonsten wären sie nicht gekommen. Denn: Bei der Sendung sitzt die Landwirtschaftsministerin als Wolfskritikerin Christian Hierneis, dem Sprecher der Grünen für Tier- und Umweltschutz gegenüber. Aber soweit ist es noch nicht: Es ist 19.15 Uhr, Einlass und Registrierung. Mittlerweile ist der Gang zwischen Festsaal und Bar rappelvoll. Ob Naturschützer oder Almbauer, Durst haben an dem Abend alle. Und so stehen sie zumindest am Tresen Seite an Seite.

Erste Diskussionen schon beim Gedränge auf dem Weg zum Saal

Die Organisatoren des Abends begrüßen die Gäste, erklären den Ablauf der Sendung und öffnen dann um 19.50h die Tür zum Saal. Beim Gedränge in der Schlange kommt man gar nicht drumherum, die Gespräche der anderen zu verfolgen: Vor mir steht Paul Höglmüller, langjähriger Forstamtsleiter in Ruhpolding, Almbesitzer, Schafhalter - und Verfasser der Achentaler Wolfsresolution. Er überlegt, ob er sich in die hitzige Debatte zweier Almbauern vor ihm einmischen soll. Er lässt es. Die Bäuerin scheint aufgebracht. Überhaupt: die Stimmung wird angespannter, man redet sich warm.

Warteschlange bei Jetzt red i in Bergen
Bereits beim Warten auf den Einlass in den Festsaal beginnen hitzige Diskussionen. Vornehmlich Bauern waren gekommen und redeten sich im Gedränge schon mal warm. © Katrin Langenwalter

Bergener Bauer verliert sechs Schafe: „Das billigste ist einfach eine Kugel“

20.15 Uhr: Die Sendung beginnt: Die Moderatoren Tilmann Schöberl und Franziska Eder begrüßen nun auch die Zuschauer zu Hause. Mit einem Photo vom Bär - wie sollte es anders sein- wird das Thema des Abends vorgestellt: Streit um Bär und Wolf - Wie viele Wildtiere verträgt Bayern? Und damit ist die Debatte eröffnet. Ein Einspieler zeigt den Bauern Stefan Rappl, der am Ortsrand von Bergen 2021 sechs Schafe durch Wolfsangriffe verloren hat. Die, in letzter Zeit hochfrequent und medial präsenten Bilder von gerissenen, blutüberströmten Schafen sind auch hier zu sehen. Rappl sagt zum Thema Herdenschutz: „Das billigste ist einfach eine Kugel.“ Dann - Übergang - zurück im Studio: Der geschädigte Bauer aus dem Film ist im Publikum und hat das Wort:

Wann ist es genug mit dem Artenschutz des Wolfes?

„Wenn bei mir auf der Alm was passiert, dann ist Feierabend, dann höre ich auf“, antwortet er Moderator Schöberl auf die Frage, ob er schon mal überlegt hat, es sein zu lassen. Geschätzte 80 Prozent der Anwesenden nicken bestürzt - es ist schon eher eine Almbauernrunde am heutigen Abend. Die Frage eines Schafbauern aus Bischofswiesen, wann wir denn genug Wölfe hätten, damit der Artenschutz erreicht ist, übergibt Moderator Schöberl an den Sprecher der Grünen für Umweltschutz und Tierschutz, Christian Hierneis: Die Antwort fällt überraschend aus:

Landrat Siegfried Walch und Publikum bei jetzt red i.
Auch Landrat Siegfried Walch (Bildmitte unten) mischte sich unter das Publikum. Er steht klar aufseiten der Bauern und hatte in der Vergangenheit mehrfach betont: Eine Koexistenz von Weidetier und Wolf gäbe es nicht. © Katrin Langenwalter

Die Grünen: Seit Parteitag Schaf im Wolfspelz?

Wir wollen unsere bayerische Almwirtschaft erhalten. Wir wissen auch, dass es auf den bayerischen Almen nicht möglich ist, Herdenschutz zu betreiben. Deshalb haben wir für unser Wahlprogramm auf dem Parteitag beschlossen, dass wir ein regionales Bestandsmanagement haben wollen.“ Verkürzt heiße das, Wolf schützen, wo es möglich sei, und Bestandsmanagement inklusive Entnahme, wo es nicht möglich ist.

Damit unterschreibt Hierneis die, von der CSU und den Freien Wählern im Eilverfahren durchgesetzte bayerische Wolfsverordnung in allen Punkten. Dem Bauern aus Bischofswiesen reicht das aber noch nicht: „Entweder Almwirtschaft, oder Wolf.“ Tosender Applaus von den Landwirtschaftskollegen, also fast allen, im Raum. Michaela Kaniber hingegen äußert sich wohlwollend:

Freude über Zustimmung zur erleichterten Entnahme von Hierneis bei Kaniber

„Grundsätzlich freue ich mich natürlich jetzt über diese Aussagen der Grünen und von ihnen Herr Hierneis“, aber, so Kaniber weiter „ich würde mir wünschen, dass über die bayerischen Grünen auch der Druck auf die Bundesumweltministerin erhöht wird.“ Sie käme zu dem Entschluss, Europa, Deutschland und Bayern hätten genug Wölfe und man könne den Schutzstatus durchaus senken. Auch Frau Kaniber muss sich um phrenetischen Applaus beim Publikum des Abends nicht sorgen.

Die Angst schraubt sich nach oben: Kinder im Waldkindergarten nicht sicher?

Besonders deutlich, wie weit die Spirale der Panik und Angst sich derzeit bei den Bauern nach oben schraubt, wird das nach einem Redebeitrag einer Bergener Bäuerin: „Wir kriegen in der Gemeinde Bergen einen Waldkindergarten, kann ich da Kinder im Wald beruhigt spielen lassen?“ Die Angst vorm Wolf, der Kinder-fressenden Bestie – sie scheint sich direkt aus Grimms Märchen in die Gegenwart katapultiert zu haben. Sie hat scheinbar tatsächlich die Befürchtung, dass der Wolf auch Menschen anfällt. Derzeit ist zwar keiner da im Landkreis, und von einem Wolfsangriff auf Menschen ist in Deutschland nichts dokumentiert. Aber das Rotkäppchen -Phänomen scheint unumkehrbar.

Biobauer baut Elektrozaun und kritisiert neue Wolfsverordnung

Blicken wir auf die wenigen Momente der 60-minütigen Live-Sendung, die von Befürwortern des Wolfes bestimmt sind: Da ist der Biobauer Wastl Pertl aus Sachrang. Vor drei Jahren sei, so erklärt der kurz eingespielte Film, ein Wolf gesichtet worden. Gerissen habe er nichts, aber der Bauer hat trotzdem Maßnahmen ergriffen: Um seine Weide hat Pertl einen Elektrozaun errichtet. Der Zaunbau sei nicht schwergefallen, insgesamt müsse er weniger reparieren als bei einem Stacheldrahtzaun und die Kosten habe die Staatsregierung komplett übernommen.

Biobauer Wastl Pertl im Einspieler zu jetzt red i.
Biobauer Wastl Pertl aus Sachrang hat es getan: Er hat einen Elektrozaun gebaut gegen Wolfsangriffe. Im Einspieler der Live-Sendung kritisiert er die neue bayerische Wolfsverordnung. Das kommt im Festsaal an dem Abend nicht gut an. © BR, bearbeitet.

Zum Schluss des Films gibt der Biobauer noch ein klares Statement in Richtung Politik ab: „Was unsere Regierung jetzt macht, ist reiner Populismus. So arbeitet man nicht. Den Leuten irgendwas vorgaukeln und sagen, wir schießen den Wolf, sobald er irgendein Tier gerissen hat. Nicht mal der Wolf selber muss es sein, sondern man darf dann einfach schießen. Das widerspricht jeglicher Tierschutzverordnung.“ Das Gesetz, das die Staatsregierung gemacht hat - er spielt auf die umstrittene Wolfsverordnung an - sei lächerlich.

Kaniber moniert fehlende Solidarität: Nicht jeder könne einen Zaun bauen

Reaktionen im Festsaal kriegt Wastl Pertl direkt mit, denn auch er ist anwesend. Da gibt es aber nichts mitzukriegen, der tosende Applaus stellt sich diesmal nicht ein – aber die Reaktion kommt dann doch, von Michaela Kaniber: Sie kritisiert fehlende Solidarität des Bauern. Es sei zwar löblich, was er macht, aber bei manchen Weiden auf der Alm mit anderer Hangneigung könne eben nicht gezäunt werden. Jetzt setzt wieder Applaus ein. Und Wastl Pertl rudert zurück. Was bei der Übermacht der wolfskritischen Stimmen im Saal nicht verwundert.

„Alles, was man nicht brauchen kann, soll verschwinden“ - Biber, Fischotter, Luchs, Wolf

Später versucht eine Dame im Publikum, die sich laut ihrer Aussage seit 20 Jahren mit dem Thema Wolf beschäftigt, nochmal eine Gegenstimme zu erheben: „Mir tut es in der Seele weh, wenn alles, was man nicht brauchen kann, sofort verschwinden muss. Also entnommen, erschossen und niedergespritzt. Der Biber war der große Feind, dann der Luchs, illegal getötet, der Fischotter ist jetzt der nächste und natürlich der Wolf. Wenn wir alle durchziehenden Wölfe, denn Rudel haben wir ja gar keines, erschießen sollen, dann brauchen wir viele Jäger und ich bin gespannt, wann der dann den ersten Touristen oder Schwammerlsucher erwischt.“

Die Jäger kommen zu Wort: Wolf schießen wäre einfach, ohne den Bund Naturschutz

Ein Zuschauer fragt im Internet während der Sendung, wie schwer es für einen Jäger sei, einen Wolf zu schießen. Moderator Schöberl fragt nach: „Haben wir Jäger im Publikum?“ Die Antwort ist nicht überraschend, es gehen mehrere Hände nach oben. Zu Wort kommt ein ortsansässiger Jäger. Er hätte damals, als der Wolf durch Bergens Ortskern lief, zwar einen Anruf bekommen, aber: „Der Wolf, der war dann nach einer Stunde nicht mehr zum Schießen, weil der Bund Naturschutz Klage eingereicht hat. Und der Bund Naturschutz hat auch jetzt wieder eine Klage eingereicht. Das wird immer schwieriger.“ Er habe auch damals bei den Jägern angerufen, aber keiner wollte sich mit Namen auf die Liste schreiben.

Michaela Kaniber möchte daher eher die Jäger und weniger den Wolf schützen. Denn: Wie in der Schweiz, wo laut Kaniber sich Jäger, die bei Wolfsentnahmen beteiligt waren, nicht mehr vor die Tür trauen und schon fast „an einem Zeugenschutzprogramm teilnehmen müssen“, soll es bei uns nicht laufen.

„Wildwest-Methoden“ in der Sendung

Der Jäger von vorhin sagt am Ende seines Redebeitrages: „Ich gebe dem Naturschutzbund einen guten Rat. Wenn ihr keinen vernünftigen Weg findet, dann werden sich die Bauern und die Jäger selber helfen.“ Und die Drohung in Richtung Naturschützer wird wieder mit Applaus untermalt – wenn auch zögerlicher. Lediglich der Moderator maßregelt: „Keine Wildwest-Methoden in unserer Sendung.“ Da kann man nur hoffen, dass der Gesamtkonsens der Gesellschaft, der vielleicht bei “jetzt red i“ in Bergen nicht repräsentativ vertreten war, doch eine andere Vorstellung von Vernunft hat.

Auch interessant

Kommentare