Was war Ihre schlimmste Erfahrung?
Clueso: Ich bin am Anfang meiner Karriere nach Neuseeland gereist. Dann habe ich einen Slot um 14 Uhr auf einem wichtigen Konzert bekommen und musste dafür zurück nach Deutschland fliegen. Ich war 30 Stunden unterwegs, das ist eine der längsten Strecken, die man fliegen kann. Auf dem Festival hat die Feuerwehr vergessen, die Türen aufzumachen und es waren keine Leute da. Als kleiner Act hast du meistens nur ein Fenster von 15 bis 20 Minuten. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein und hab in das Mikro geschrien: Macht das Tor endlich auf. Die Leute vor dem Eingang haben gekreischt. Das war dann doch ein geiler Moment, die fünf Minuten, als die Leute zur Bühne gerannt sind um noch die letzten Songs mitzusingen. Danach musste ich sofort wieder nach Neuseeland.
Was war Ihre schönste Erfahrung?
Clueso: Es gibt krass euphorische Momente, in denen man merkt, dass die Leute dankbar sind. Manchmal hören sie gar nicht auf zu klatschen, da bleibt mir schon mal die Luft weg. Es gibt auch Konzerte, bei denen eine Art Schwermut im Raum hängt und plötzlich entlädt sich das und die Leute feiern. Das ist besonders.
Freuen Sie sich auf Rosenheim?
Clueso: Ich freue mich sehr, das Sommerfestival klingt nach Urlaub. Wenn ich irgendwo bin, will ich die Gegend kennenlernen. Deshalb schreibe ich mir immer schöne Cafés auf. Wenn ich ankomme und aus dem Bus falle, ist das genau das Richtige. Und bei euch hat man einen schönen Blick. Ich finde, man sollte die Berge mindestens einmal pro Jahr gesehen haben.
Was hat Ihnen in der Corona-Pause am meisten gefehlt?
Clueso: Live zu spielen. Das hat sich zwar gut verlagert, ich hatte vorher schon die Idee für ein Album ins Studio zu gehen und ausgelassen Musik zu machen. Wenn ich jetzt auf Tour gehe und „Flugmodus“ spiele, ist das für mich ein neuer Song, dabei ist er schon eineinhalb Jahre alt. Das werden besondere Live-Momente, weil sich da einiges an Energie entladen wird.
Bringen Sie neue Songs mit?
Clueso: Bestimmt! Bei „Fehler fehlen“ muss ich mir mal ansehen, wie mir der Song live von der Hand geht. Ich bin gerade bei der Show „Sing meinen Song“ auf Vox zu sehen. Da entstehen total schöne Sachen und ich werde dieses Jahr sicher Songs von anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in meine Setliste einbauen. Den neuen Song „Mond“ mit Elif werde ich auch mitbringen. Ich komme auf jeden Fall vollgepackt.
Wie werden Sie kreativ?
Clueso: Ich bin nicht der Typ, der sich hinsetzt und sagt: Lass mal einen Song schreiben. Ich habe eine sehr krasse Energie, wenn ich Musik mache. Ich renne im Kreis rum, springe auf, reiße die Leute mit. Wenn ich im Studio bin, lasse ich die Tür auf. Dann kommen die Leute rein und feiern mit. Ich schreibe jeden Satz auf, der mir gefällt. Auf Zetteln oder in meinen Notizen auf dem iPhone. Mir fällt das Texten nicht schwer. Für viele Künstler ist das ein Problem.
Was inspiriert Sie?
Clueso: Natürlich sind einschneidende Erlebnisse etwas, an dem man nicht vorbeikommt, ob traurige oder schöne Momente. Aber es ist nicht so, dass mich etwas inspiriert und ich sofort ins Studio gehe. Ich tanke mich auf wie eine Flasche, die irgendwann voll ist und sich dann ergießt – im besten Fall im Studio.
Haben Sie noch Lampenfieber?
Clueso: Das wird nie ausbleiben. Ich habe immer gedacht, dass das weggeht und dass ich ‘ne Rotz-Coolness bekomme, wenn ich auf die Bühne gehe. Das ist nicht der Fall. Ich nutze das aber als eine Art Euphorie, weil es mich lebendig und wach macht. Ich bin aufgeregt, hab Schiss und denk mir trotzdem: Yeah, lasst mich raus. Ich verstehe das als was Schönes.
Mit welchen drei Worten würden Sie sich beschreiben?
Clueso: Ich bin sehr neugierig. Ich bin manchmal sehr naiv und stürze mich in Dinge. Dann muss ich einen Schritt zurückgehen. Ich kann die Leute anheizen und begeistern. Und ich bin sehr, sehr ungeduldig, aber herzlich. Das waren jetzt zu viele, ich weiß.
Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben?
Clueso: Ich mache engagierten Pop. Ich mache genauso gerne für Kollegen Musik, wie für ein Publikum. Hoffentlich habe ich es geschafft „Clueso-Musik“ zu machen. Das ist, was die anderen Musiker bei „Sing meinen Song“ sagen: Dass ich einen Song anfasse, der nicht mein eigener ist, und es wird Clueso draus. Das ist eines der schönsten Komplimente.
Auf welches Talent, das nichts mit Musik zu tun hat, sind Sie stolz?
Clueso: Ich kicker sehr gerne und bin echt gut. Ich lerne sehr schnell Sachen, aber mittendrin hör ich auf und müsste dranbleiben. Das mache ich aber nur bei Sachen, die mich wirklich interessieren. Ich benutze zum Beispiel jedes Instrument, das rum steht. Oder plötzlich bin ich Regisseur. Wir nehmen gar keinen Regisseur mehr mit auf Drehs. Das mache ich alles mit meinem Team.
Welchen Beruf hätten Sie, wenn Sie kein Musiker wären?
Clueso: Ich liebe spekulative Fragen. Ich glaube, ich würde etwas Kreatives machen. Ich kann mich in alles reindenken. Etwa wenn ich in einem Restaurant bin und merke, da stimmt das Konzept, die Einrichtung, das Essen und es gibt einen freundlichen Chef, der an jeden Tisch geht. Das könnte ich auch, das muss aber mit Herzblut sein. Ich bin gelernter Friseur, ich hätte wahrscheinlich den geilsten Friseurladen der Welt. Ich kann mir aber auch vorstellen, ich wäre Tischler und baue ewig an einem Tisch.
Was war der beste Rat, den Sie bekommen haben?
Clueso: Wolfgang Niedecken hat mir in einer sehr schwierigen Phase gesagt, ich soll mir überlegen: Wofür bist du angetreten, was kannst du heute noch vertreten und wo willst du hin? Das hat mir geholfen Entscheidungen zu treffen. Ein guter Rat ist auch: Man darf mit sich und anderen ins Gericht gehen, sollte aber nicht zu hart sein.
Wenn Sie das Sagen im Musik-Business hätten, was würden Sie ändern?
Clueso: Vieles. Die Pandemie hat gezeigt, dass es gut ist, wenn wir Musiker zusammenstehen und unsere Interessen vertreten. Wir haben keine Gewerkschaft, die für uns spricht. Wir brauchen etwas in der Art, dass wir als geballte Einheit zu Politikern gehen können und sagen: Da muss sich was ändern. Auch bezüglich Urheberrecht bei den Tech-Firmen. Wir müssen zusammenkommen, um die Szene da hinzubringen, wo sie hingehört. Wir sind systemrelevant, meinungsbildend und wichtig für die Gesellschaft.
Warum ist Musik systemrelevant?
Clueso: Die Kraft der Musik hat verschiedene Aspekte. Ich habe eine Mutter mit zwei Kindern aus Kiew bei mir aufgenommen. Ich kannte die Familie schon, hatte den Platz und wollte etwas tun. Ich will ungern viel darüber erzählen, weil ich das nicht so kokett behandeln will. Aber wir waren auf dem Weg zu einem Festival nach Berlin und die Mutter, Kateryna, meinte, sie würde auch gerne singen, um den Angriffskrieg in der Ukraine nach außen zu tragen. Ihr Mann ist noch dort, wir beten für ihn, dass es vorbeigeht. Sie hat dann gesungen und es hat ihr Kraft und Hoffnung gegeben, auch den Leuten vor der Bühne. Mit Musik erreicht man die Leute direkt im Herzen. Ich kann das runterbrechen auf die letzten Tage der Menschheit – wie in einem Film von Roland Emmerich: Ein Komet rast auf die Erde zu. Wir werden die Gitarre auspacken und am Lagerfeuer singen. Ich versuche, immer an der Hoffnung festzuhalten, dass die Dinge besser werden.
Die Konzerttermine: Das Rosenheimer Sommerfestival startet am 15. Juli mit „The BossHoss“. Am Samstag, 16. Juli, tritt Clueso auf. Der britische Sänger James Blunt kommt am Montag, 18. Juli, nach Rosenheim. Tim Bendzko singt am Mittwoch, 20. Juli. Am 21. Juli folgt die Band „Deep Purple“. Der Österreicher Hubert von Goisern gibt seine Lieder am Freitag, 22. Juli, zum Besten. Am letzten Tag des Sommerfestivals am 23. Juli tritt die Gruppe „Dicht & Ergreifend“ auf.