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Missbrauchspfarrer: Alt-OB Gabriele Bauer und ihr Brief ans Ordinariat

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Von: Michael Weiser

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Der Missbrauchsskandal um Klinikseelsorger Rudolf Kassian Greihansel erschüttert Rosenheim.
Der Missbrauchsskandal um Klinikseelsorger Rudolf Kassian Greihansel erschüttert Rosenheim. © Schlecker/Christian Kutschenreiter/stadt Rosenheim/Bildcollage Re.

18 Jahre wirkte Gabriele Bauer als Oberbürgermeisterin in Rosenheim. Jetzt als Ruheständlerin fällt ein Schatten auf ihre Amtszeit. Sie hat sich 2003 für Pfarrer Rudolf Kassian Greihansel verwendet, als ihn die Erzdiözese wegen Gerüchten zu Übergriffen auf Kinder in den Ruhestand schicken wollte. Im OVB erklärt sie warum. 

Rosenheim – 2002 tauchten laut einem Untersuchungsbericht konkrete Vorwürfe gegen den damals 72-Jährigen Priester auf: Greihansel führe eine „zu intensive Nähebeziehung“ zu Ministranten. Im Gutachten, das die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl angefertigt hat, finden sich zwischen 1999 und 2001 Besuche von Ministranten in Greihansels Privatsauna oder Übergriffe im Fahrstuhl des Klinikums. Greihansel hatte diese Übergriffe gegenüber seinen Vorgesetzten zugegeben, jedoch heruntergespielt.

Das Erzbistum reagierte und versetzte den Priester im Jahr 2003 in den Ruhestand. Ein örtlicher Pfarrer hatte sogar gefordert, ihm einen anderen Alterswohnsitz anweisen zu lassen, aus Sorge um die Jugend und Angst vor unerwünschtem Aufsehen in den Medien. Doch Greihansel blieb in seinem gewohnten Umfeld, war hochangesehen, geachtet und konnte sich frei bewegen. 

Skandalpfarrer war offenbar gut vernetzt

Zu verdanken hatte er das einer „Kumpanei“, wie es der Anwalt Dr. Martin Pusch von Westpfahl Spilker Wastl im Gespräch mit dem OVB nennt. Mehrere einflussreiche Personen hatten sich mit Briefen aktiv an das Ordinariat gewandt, um seinen Verbleib in der Stadt zu ermöglichen. Das Ordinariat nennt auf OVB-Anfrage neben Gabriele Bauer, seit Mai 2002 frisch gebackene CSU-Oberbürgermeisterin der Stadt,  unter anderem auch einen Ordenspriester aus dem Ausland und einen ehemaligen Chefarzt des Klinikums Rosenheim als Absender der Briefe. 

Gabriele Bauer reagiert schockiert

Mit der Bestätigung dieser Fakten seitens der erzbischöflichen Zentrale konfrontiert, reagierte Gabriele Bauer schockiert. „Ich kannte Greihansel“, sagte sie gegenüber dem OVB. Er sei ein „seltsamer Mensch“ gewesen, sie habe aber nie intensiver über ihn nachgedacht. „Wenn da auch nur Andeutungen gewesen wären, ich von seinem Doppelleben oder gar den fünf Jahren Haft gewusst hätte - dann hätte ich mich anders verhalten.“

Bauer sieht die Verantwortung für das Verschweigen von Greihansels Hintergrund als Missbrauchstäter beim Erzbistum München: „Dass ich von der Kirche aufs Kreuz gelegt worden bin, trifft mich im Tiefsten meiner Seele.“

Die Kirche bewahrte Stillschweigen

Es gilt als erwiesen, dass die Kirche über Fehltritte ihrer Würdenträger gern Stillschweigen bewahrte. Und das noch bis weit in die 2000er-Jahre hinein. So wohl auch im Fall von Rudolf Kassian Greihansel. Den Seelsorger hatten seine Neigungen schon früh vor Gericht gebracht. 1962 wurde er als 32-Jähriger wegen fortgesetzten Missbrauchs von Buben zwischen zehn und 13 Jahren in München zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt – eine Seltenheit in einer Zeit, in der sich ein Pfarrer allgemeiner Hochachtung erfreute und noch „Hochwürden“ war. 

Rosenheim - ein unauffälliger Arbeitsplatz

Nach der Haft schickte ihn das Erzbistum nach Rosenheim, wo Greihansel 1968 Krankenhausseelsorger wurde. Greihansels Vorgesetzte wollten Aufsehen vermeiden - auf dass nicht „die blödsinnigsten und simpelsten Indiskretionen ihm die Wirkungsmöglichkeiten am neuen Einsatzort von vornherein nehmen“. Die Anwälte der Münchner Kanzlei stießen auf diese Bemerkung in den Kirchenakten. 

Ganz ahnungslos schienen die Menschen in der Stadt jedoch nicht gewesen zu sein. Es gab immer Gerüchte und Gerede. Und einige Kirchenmitglieder kannten auch die Wahrheit. „Meine Großmutter wusste, dass er verurteilt worden war und weswegen“, erinnert sich ein ehemaliger Ministrant. Dennoch nahm niemand Anstoß daran, dass Greihansel weiter engen Kontakt zu Jungen unterhielt – die Ministranten Greihansels seien „ein eigener Kreis“ gewesen, berichtet der ehemalige Messdiener, der anonym bleiben möchte.

Alt-OB Bauer kann sich nicht erinnern

Alt-Oberbürgermeisterin Bauer verneint gegenüber dem OVB, Beteiligte einer „Kumpanei“ gewesen zu sein. In den Klüngel um Greihansel sei sie nie hineingekommen, „schon weil ich evangelisch war“, sagt sie. Als die Briefe für Greihansel auf den Postweg ins Ordinariat gingen, sei sie eben erst Oberbürgermeisterin Rosenheims geworden und viel beschäftigt gewesen. „Ich kann mich an den Brief nicht erinnern, aber es wird ihn gegeben haben“, sagt sie.

Möglicherweise sei er vorformuliert gewesen. Als Gefälligkeit einem beliebten Mitglied einer Kirchengemeinde gegenüber. „Ich bin offiziell immer mal wieder zu Anlässen angefordert worden, da hinzugehen gehört sich für eine OB“, sagt Bauer. So sei sie auch bei der Verabschiedung von Pfarrer Lipp und Pfarrer Zehetmair anwesend gewesen. „Aber auch da hat kein Mensch etwas zu mir gesagt.“ Bauer fühlt sich nach eigenen Worten von Verantwortlichen der Kirche „hinters Licht geführt“. 

Im Krankenhaus sind keine Hinweise aufzufinden

Als Chefin des Rosenheimer Rathauses war sie auch Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums geworden. Aber selbst da sei sie nicht über Anzeichen von Verfehlungen oder gar die Haftstrafe des Krankenhausseelsorgers Greihansel informiert worden, sagt sie gegenüber dem OVB. Tatsächlich lag die Personalverantwortung dafür nicht bei der Leitung des Klinikums, sondern wiederum beim Erzbistum. Unterlagen aus jener Zeit, die das belegen, gibt es nicht. Sie seien nicht aufzufinden, sagt Romed-Sprecherin Elisabeth Siebeneicher - überwiegend, weil sie nach der Aufbewahrungsfrist entsorgt worden sein dürften.

Greihansel lebte mitten in Rosenheim

Seit dem Tage der Veröffentlichung von Berichten über Greihansels Untaten „bin ich in mich gegangen und habe mich selbst gefragt, was ich hätte wissen können“, sagt Gabriele Bauer. Was da gewesen sei, wie dies habe geschehen können, bedrücke sie. „Meine Enttäuschung ist groß, mein Entsetzen noch größer.“

Greihansel lebte bis zu seinem Tod im Alter von 88 Jahren in einem Häuschen mitten in der Stadt, einen Steinwurf vom Klinikum entfernt. Er wurde mit zahlreichen Todesanzeigen geehrt - unter anderem auch einer der Stadt Rosenheim und deren damaliger Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer. 

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