1. innsalzach24-de
  2. Bayern
  3. Landkreis Rosenheim

Streiten für „Monster“? Warum Star-Anwalt Baumgärtl sich für Angeklagte in die Bresche wirft

Erstellt:

Von: Michael Weiser

Kommentare

Strafverteidiger Harald Baumgärtl vertritt Mandanten in schwierigsten Situationen. So auch den Tatverdächtigen im Fall Hanna.
Der Mann für die harten Fälle: Strafverteidiger Harald Baumgärtl vertritt Mandanten in schwierigsten Situationen. So auch den Tatverdächtigen im Fall Hanna. © Michael Weiser

Er vertritt die „Pelzlady“ aus Kiefersfelden, stand dem Vergewaltiger aus Obing vor Gericht bei. Und hat den Tatverdächtigen im Fall Hanna als Mandanten. Warum Staranwalt Harald Baumgärtl aus Rosenheim findet, dass Gesetzesbrecher den besten Beistand bekommen müssen: Ein OVB-Exklusivportrait.

Rosenheim - Von der Kanzlei aus hat man gute Sicht auf die Rückseite des Rosenheimer Rathauses. Gerade machen sich dort einige Leute zu schaffen. Sie bauen Kameras auf. Vorarbeiten für eine neue Folge der „Rosenheim Cops“. „Idylle“, sagt Harald Baumgärtl (62). Und meint damit: eine andere Welt, nicht so kompliziert wie der Alltag eines Strafverteidigers.

Baumgärtl kann viel von verwickelten Fällen erzählen. Kürzlich der Prozess gegen den Vergewaltiger von Obing, aktuell die Verhandlung gegen die „Pelzlady“ aus Kiefersfelden, die ihren Vater ermordet haben soll. Und wohl bald der Prozess gegen den derzeit lediglich Tatverdächtigen im Fall Hanna: Baumgärtl ist der Mann für die schwierigen Gerichtssachen. Er hat in den vergangenen 20 Jahren viele der spektakulärsten Fälle in der Region bearbeitet, vom Eishalleneinsturz in Bad Reichenhall bis zum Mord von Bergen.

Star-Verteidiger Rolf Bossi als Vorbild und Mentor

Wie wird man zum Staranwalt? Im Fall von Baumgärtl hat es viel mit mit Können und ein wenig mit Schicksal zu tun. Er erzählt, wie er als Bub seinen Vater auf die Buchmesse in München begleitete. Weil er musste, wie er sagt. So fad es sonst gewesen sein mag, ein Erlebnis entschädigte ihn. Der Star-Verteidiger Rolf Bossi stellte ein Buch vor: „Ich fordere Recht“. „Mir war danach klar, ich werde Strafverteidiger“, sagt Baumgärtl.

Schließlich studierte er Jura an der LMU in München. Und landete dann tatsächlich in der Kanzlei von Rolf Bossi und Steffen Ufer. Gelernt habe er dort viel, sagt Baumgärtl. „Bossi beherrschte die ganze Klaviatur.“ Kenntnis des Falls, juristisches Wissen, Selbstvertrauen, Erfahrungen - das gehört zu einem guten Strafverteidiger. Aber auch die Performance vor Gericht: wie man spricht, wie man Fakten darlegt. Es gehe nicht ums Überreden, sondern ums Überzeugen, sagt der Rosenheimer Jurist. „Das hat man, oder man hat es nicht.“

Der Statiker, der zum Sündenbock wurde

Eine der ersten Verhandlungen Baumgärtls, die überregional für Aufsehen sorgte, war der Prozess wegen des Eishallen-Unglücks 2006 in Reichenhall. Jahrelang hatten Verantwortliche in der Stadt weggeschaut. Irgendwann stürzte die Halle ein, das Dach begrub Dutzende unter sich. 15 Menschen verloren ihr Leben. Und einer seine Existenz, sein Vermögen, seinen Ruf: der Statiker.

„Dabei hätte er freigesprochen werden müssen“, sagt Baumgärtl. Sein Fehler sei es gewesen, den Mund aufgemacht zu haben, bevor sein Rechtsbeistand bei ihm war, sagt Baumgärtl. Es hört sich an wie: So einfach wird man schuldig gesprochen, ohne Schuld auf sich geladen zu haben. Und der Anwalt ist dazu da, das zu verhindern.

Nicht jeder Mörder ist ein eiskalter Killer

„Auch ganz normale Menschen können in Schwierigkeiten geraten und können dann froh sein, wenn sie einen guten Anwalt haben.“ 2015 etwa, der Brand in einer Unterkunft in Schneizlreuth, der sechs Übernachtungsgäste das Leben kostete. „Der Eventmanager, der die Menschen da übernachten ließ, war ja kein schlechter Mensch“, sagt Baumgärtl. Ein Satz, den man von ihm öfter hört, in Variationen: dass der Täter meist kein Monster sei, sondern dass eine Situation außer Kontrolle geriet.

Er vertrat 2021 den Mörder von Bergen, der die Leiche seines Opfers zerstückelte. Er verteidigte auch den Doppelmörder von Aschau, der ein Rentner-Ehepaar umbrachte. Grausiger hört sich der erste Fall an. Schlimmer aber war wohl der zweite. Denn der Mörder von Bergen habe die Tat nicht geplant, sagt Baumgärtl, da sei womöglich eine Situation eskaliert. Anders der Täter von Aschau: Habgier war das Motiv für eine kühl kalkulierte Tat. Eine Ausnahme, wie Baumgärtl findet: „Eiskalte Killer trifft man nur selten.“

Sportlicher Ehrgeiz im Rahmen des Gesetzes

Auf der Gegenseite, bei Polizei und Staatsanwaltschaft, äußert man sich anerkennend über den Verteidiger. Baumgärtl mache nicht auf Show. Er sei genau, sorgfältig und hartnäckig. Baumgärtl selbst spricht von „sportlichem Ehrgeiz“ auf dem Feld, das ihm das Gesetz absteckt. Und vom Glück, diesen Rahmen zu haben.

Deswegen springt er für Menschen in die Bresche, die gerade keine Lobby haben: Weil es der Rechtsstaat so will. Vielleicht ist der „Böse“ gar nicht so böse, vielleicht hat er Pech gehabt, vielleicht war er überfordert oder unaufmerksam. „Viele kleine Punkte können ein Bild ergeben“, sagt Baumgärtl, „doch dann kommt es immer noch darauf an, aus welchem Winkel man das Bild betrachtet.“ Das Ringen um diesen anderen Standpunkt: Es ist das Gegenteil vom „kurzen Prozess“, den Regimes so schätzen. „Ich möchte nicht in einer Diktatur leben“, bestätigt Baumgärtl.

Wie kann man nur zu schlechten Menschen halten?

Das verstehen manche Menschen um so weniger, je stärker ein Fall aufgeladen ist. „Warum machst du das?“ Die Frage höre er oft, sagt Baumgärtl, und manchmal höre er auch Schlimmeres. 2014 zum Beispiel, der „WM-Mörder“ von Bad Reichenhall: ein Ex-Soldat, der einen Rentner erstach und eine junge Frau schwer verletzte. Sein Verteidiger vorm Landgericht: Harald Baumgärtl. Während des Prozesses bedrängte ein Mann Baumgärtls Frau, fragte sie, warum sich der „Drecksack“ von Anwalt an die Seite eines solchen „Monsters“ stelle. Baumgärtls Gattin erhielt Polizeischutz, der Verteidiger kämpfte weiter für den Angeklagten. Er erreichte die Verurteilung nach Jugendstrafrecht.

Auch der Fall Hanna ist emotional schwer aufgeladen

Schwer aufgeladen ist auch der Fall Hanna. Die 23-Jährige fiel im Oktober 22 auf dem Heimweg vom Club „Eiskeller“ in Aschau einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Einige Wochen später, im November, wurde ein junger Mann unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Er sitzt seitdem in U-Haft in Traunstein.

Die Polizei hat am Freitag mitgeteilt, dass sich die Ermittlungen dem Abschluss nähern. Ihre Erkenntnisse übergeben die Ermittler dem Staatsanwalt. Irgendwann im Mai oder Juni könnte es soweit sein, schätzt Baumgärtl: Dann könnte die Anklageschrift vorliegen.

Egal wann, „der Druck ist groß“. Weil die Menschen weit über Aschau hinaus verunsichert und wütend sind. In dieser Tragödie gebe es „nur Verlierer“, das hat er vor einigen Wochen gesagt. Und mächtig Kritik kassiert: zu viel Sympathie für einen Täter. Baumgärtl aber bleibt dabei: Auch der junge Mann habe sein Leben in gewisser Weise verloren.

Mörder oder Eierdieb, Sorgfalt haben beide verdient

Baumgärtl liest viel. Prozess-Akten vor allem. Indizien, Beweise, Gutachten, Aussagen. Er spricht auch mit Ermittlern, der konstruktive Austausch gehöre sich im Rechtsstaat. Wenn er nicht recherchiert, ist er unterwegs, zu Verhandlungen oder zu Gesprächen mit Mandanten in U-Haft. „Es ist nicht so wie im Fernsehen“, sagt er, „ich hab nicht nur den einen ganz speziellen Fall, in dem mir alle möglichen Mitarbeiter zuarbeiten.“ Weil er dem Mörder die selbe Sorgfalt widmet „wie dem Eierdieb“, ist sein Terminkalender voll.

Seine Fälle beanspruchen Kraft und Arbeitszeit, sie rauben ihm nicht den Schlaf, sagt er. „Der Chirurg träumt ja auch nicht von den Operationen, die er tags zuvor unternommen hat.“ Er unternimmt mit seiner Frau gerne Skitouren. Natürlich wegen der Bewegung, der frischen Luft, der Sonne. Aber wohl auch wegen des ruhigen Gleitens durch den Schnee, wegen dieser Meditation in Bewegung. Und wegen des Ausblicks, von ganz oben hinab ins Tal, vom Gipfel hinab aufs Treiben der Menschen. „Da finde ich“, sagt er, „die Distanz, die ich brauche.“

Auch interessant

Kommentare