Das Lieblingsfest der Wasserburger wird 30 - warum die Organisatoren zu kämpfen haben

Drei Bühnen, über 30 Stände: Das Nationenfest in Wasserburg ist heuer als besonders großes Event geplant. Warum sich die Organisatoren so ins Zeug legen - trotz Problemen, die es beim Start vor 30 Jahren noch nicht gab.
Wasserburg - Alles begann mit einer Lichterkette - als Reaktion auf die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda: 5000 Menschen bildeten im Dezember 1992 in Wasserburg mit Kerzen in der Hand eine Schlange, die sich über die ganze Innschleife hinweg zog. Für viele war es die erste Demo ihres Lebens - auch für die Mutter von Bernhard Brosig (59), Zweiter Vorsitzender von Rio konkret, seit 2001 Veranstalter des Nationenfestes.
Wasserburg feiert die kulturelle Vielfalt
Die Organisatoren der Lichterkette beschlossen nach seinen Angaben, ein Fest als Dankeschön auf die Beine zu stellen. Das erste fand ein Jahr später statt, 1993, damals noch getragen vom Freundeskreis Lichterkette. Auch diese Veranstaltung wurde laut Brosig ein Riesenerfolg. So ist es geblieben, alljährlich im Juni feiern die Wasserburger die kulturelle Vielfalt in der Stadt - bis heute, nur unterbrochen durch die Pandemie und einen weiteren Ausfall. Von Anfang an mit im Boot: die Stadt.
Vor 30 Jahren Start mit ein paar Ständen und etwas Musik
Das erste Nationenfest vor 30 Jahren war im Vergleich zu heute ein kleines: sechs bis sieben Stände mit Essen und Infos, ein bisschen Musik, Tanz und Basarstimmung. Das Geschirr stand auf dem Boden, der Kochtopf brutzelte mitten in der Menschenmenge vor sich hin, erinnert sich Helmut Schedel (71) aus dem Organisationsteam. Hygiene-Richtlinien? Gab es kaum. „Es war etwas chaotisch, das hatte jedoch einen ganz besonderen Charme“, sagt Brosig schmunzelnd. Heute ist der bürokratische Aufwand viel höher: Die Organisatoren benötigen ein Sicherheitskonzept, haben Hygieneauflagen einzuhalten, die auch für jeden Standbetreiber gelten, müssen Versicherungen abschließen. Schon im Januar startet deshalb die Planung.

Von Anfang an aktiv dabei und erfahren im Umgang mit all diesen Themen: die türkische Community in Wasserburg, berichtet Robert Obermayr (54), Vorsitzender von Rio konkret und Mitglied im Organisationsteam. Ebenfalls immer präsent: Amnesty International, der Eine-Welt-Laden - und Vereine wie der TSV Wasserburg, der viel tut für die Integration. Vor allem die Basketballerinnen, in deren Team viele ausländische Sportlerinnen spielen, bringen sich oft mit Beiträgen ein. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Gruppen hinzu. Auch die Schulen engagieren sich, die Realschüler nähten vor Jahren für jede teilnehmende Nationalität eine Fahne.

Heuer, im Jubiläumsjahr, bauen die Veranstalter sogar drei Bühnen auf. Das Fest wird 2023 zwar noch größer als bisher , doch der Stil wird sich nicht ändern, versprechen Obermayr, Brosig und Schedel. „Das Nationenfest ist nicht kommerziell, es ist klein, aber fein - und selbst organisiert, ausschließlich im Ehrenamt“, bringt es Obermayr auf den Punkt. „Niemand will etwas verdienen.“ Vertreter von 20 Nationen werden aufkochen - viele Familien kramen auch heuer ihre Hausrezepte für die selbst aufgebauten Straßenküchen raus. Riesenportionen gibt es nicht, denn die Gäste sollen genügend Platz im Magen haben, sodass sie an mehreren Ständen probieren können: türkisches Fladenbrot ebenso wie Falafel, bayerischen Kaiserschmarrn und belgische Waffeln. Auch die Preise werden nach oben hin mit einem Höchstwert festgelegt, so Obermayr.
Oft Gegenentwurf zur politischen Lage
Das Nationenfest ist nach seinen Angaben immer auch ein Abbild, oft sogar ein Gegenentwurf, der politischen Weltlage. 2022 kochten hier zum ersten Mal Flüchtlinge aus der Ukraine auf. 2015/2016 Afghanen und Syrer - gemeinsam an einem Stand. Auch Amerikaner schwangen schon mit Irakern den Kochlöffel. Regelmäßig zu Gast ist außerdem eine Gruppe aus Wasserburgs rumänischer Partnerstadt Cugir. Zum Jubiläum haben sich wieder Vertreter angesagt.
All dies hat einen ganz besonderen Charme - bis heute. Und trotzdem ist es von Jahr zu Jahr schwieriger geworden, die Großveranstaltung, bei der bei gutem Sommerwetter bis zu 10.000 Menschen erwartet werden, zu stemmen, bedauern Obermaryr, Schedel und Brosig. Die Organisatoren verlangen keinen Eintritt, das soll auch so bleiben, denn das Nationenfest ist angelegt wie eine große Familienfeier. Auch Bürger mit kleinerem Geldbeutel sollen zum Feiern, Essen, Musik hören und tanzen kommen können. „Wir wollen keine Abzocke, sondern faire Preise“, sagen sie.
Die Standgebühr beträgt laut Obermayr für private Anbieter nur 60 Euro, für gewerbliche 120 Euro. Vereine und Initiativen ohne Verkauf zahlen nichts. Es gebe keine Bar, keine harten Alkoholika. Rio konkret ist deshalb auf Spenden und Sponsoring sowie die Unterstützung der Stadt angewiesen. Diese fördert die Großveranstaltung heuer mit einem Zuschuss in Höhe von 5000 Euro. Das ist erst das dritte Mal, dass der Förderverein um finanzielle Hilfe gebeten hat. Außerdem gibt es von der Stadt tatkräftige Unterstützung vom Bauhof und von den Stadtwerken.
Kosten für die Technik explodieren
Trotzdem: Die Kosten steigen, bedauern die Organisatoren. Sorgen bereite vor allem die Finanzierung der Licht- und Tontechnik für das Musikprogramm, das heuer auch bekannte Gruppen wie die Neurosenheimer bestreiten. „Dafür brauchen wir Profis“, betont Schedel. Doch die Pandemie habe das Angebot an Firmen für die Veranstaltungstechnik deutlich reduziert, bedauert er. Die Kosten explodieren auch hier: „Wir zahlen für die Licht- und Tontechnik jetzt doppelt so viel.“ Wie gut, dass die GEMA-Gebühren in Bayern jetzt wegfallen, wenn Vereine wie Rio konkret kostenlos Feste anbieten. „Sehr erfreulich“, nennt Obermayr diese politische Entscheidung. Die Gebühren waren in den vergangenen Jahren aufgrund der Tatsache, dass die ganze Altstadt zum Festgelände und damit beschallt wurde, auf 900 Euro gestiegen. „Das Geld investieren wir natürlich lieber in gute Bands“, sagt Obermayr.
Doch Rio konkret hat noch ein weiteres Problem, das etwas Sorgen bereitet. Es fehlen neue Aktive, die sich einbringen - bei der Organisation im Vorfeld, aber auch „kräftige Hände“ beim Auf- und Abbau am Festtag selber. „Wir brauchen Jüngere, die das Fest weitertragen“, sagen Obermayr, Schedel und Brosig. Rio konkret, entstanden 1993 als lokale Agenda auf die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, ist ein kleiner Verein mit etwa 50 Mitgliedern. Er feiert heuer ebenfalls das 30-jährige Bestehen. Der Vorstand möchte einige der vielen Aufgaben, die im Rahmen des Nationenfestes anstehen, auch in neue, jüngere Hände geben.
Neue Helfer gesucht
Jeder, der sich engagieren wolle, könne sich mit seinen individuellen Talenten einbringen, sagt das Orga-Team. Es sucht handwerklich geschickte Helfer, Ordner und Organisatoren. Überfordert werde niemand, denn das Fest sei und bleibe in ehrenamtlicher Hand. Vieles funktioniere im spontanen Miteinander. „Alle packen mit an, manchmal ist es etwas chaotisch, doch es klappt immer. Keiner macht stur seine Sache, jeder hiflt jedem. Des ist a Schau“, findet Schedel. Vor allem, wenn das Wetter mitspielt, was erfreulicherweise rund um den Traditionstermin im Juni oft der Fall ist. Nur selten war das Fest verregnet, erinnert sich das Orga-Team.
Keinen Spaß versteht es nur einmal: wenn sich die Gruppen, die einen Beitrag für Kulinarik, Bazar oder Kulturprogramm leisten wollen, vorstellen. Im Plenum müssen sie sich erklären. „Wir haben keine Scheu, auch mal nein zu sagen“, betont Brosig. Ein Beispiel: aggressive Musik wird nicht gespielt. „Wir veranstalten ein Fest, so soll auch der Charakter sein.“ Was immer mal wieder auf Kritik stößt, ist die Tatsache, dass auch politische Parteien mit Ständen vertreten sein dürfen. Doch auch für sie gibt es klare Regeln: Ihr Stand muss das Miteinander der Kulturen und die Integration thematisieren. Wahlwerbung ist nicht erlaubt, erklärt das Orga-Team.
Kein Kitsch, keine Folklore
Einer weiteren Herausforderung müssen sich die Organisatoren jedes Jahr stellen, berichten sie. Das Nationenfest soll nicht abrutschen in eine kitschige Folkloreveranstaltung. Die bekannten Klischees werden nicht bedient. Die Wirklichkeit ist der Maßstab, so Obermayr. Wasserburg kennt die Realität: Hier leben Menschen aus 60 Nationen. Seit 30 Jahren feiern sie einmal im Jahr friedlich miteinander. Die multikulturelle Vielfalt spiegeln dann auch das Essen und die Musik wider. Und beim gemeinsamen Organisieren, Auf- und Abbauen entstehen ebenfalls viele Kontakte, sagen Obermayr, Schedel und Brosig. Beim Planen, Kochen, Musizieren klappe die Völkerverständigkeit - ganz nebenbei.
Aufruf zur Anmeldung
Für das Wasserburger Nationenfest am 24. Juni können die Bewerbungen zur Teilnahme eingereicht werden. Der Anmeldebogen ist auf www.rio-konkret.de abrufbar und sollte möglichst bis Ende März bei den Ansprechpartnern eingereicht werden. Mitmachen können laut Veranstalter grundsätzlich alle, ob Familien oder professionelle Anbieter, die Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern zubereiten,
Vereine, die über ihre Angebote informieren, Initiativen, die Spiele für Kinder anbieten oder Händler mit Waren aus aller Welt, teilt der Verein Rio konkret mit. Die Vorbereitungstreffen für die Standbetreiber (Plenen) finden voraussichtlich Ende April 2023 statt. Termine hierzu werden noch bekannt gegeben./Diese Treffen sind wichtig insbesondere für Standbetreiber mit Speisen und Getränken, verpflichtend vor allem für neue Anbieter. Das Musikprogramm ist bereits abgeschlossen; Bewerbungen zu Musikbeiträgen sind erst wieder für 2024 möglich, so der Veranstalter.