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Geisterzug rast durch die Region - heute und auch schon vor 80 Jahren

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Von: Melanie Fischer

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Walburga Datz mit ihren beiden Töchtern
Walburga Datz mit ihren beiden Töchtern Hilde und Wally. Die Kriegswitwe hatte besonders unter dem Unfall zu leiden. © Peter Datz

Am 20. Januar 2023 setzte sich eine brennende Lok von selbst in Bewegung und rollte führerlos auf den Bahnhof Freilassing zu. Dank des Zusammenspiels der zuständigen Behörden konnte Schlimmeres verhindert werden. Vor 80 Jahren gab es bereits einen ähnlichen Vorfall, der allerdings nicht so glimpflich ausging.  

Ainring - Peter Datz erinnert sich gerne an seine Großmutter. „Meine Oma ist 101 Jahre alt geworden. Ich bin die ersten beiden Lebensjahre bei ihr aufgewachsen und habe ein sehr enges Verhältnis zu ihr gehabt. Sie hat mir immer wieder von dem Unfall erzählt.“

Dem Unglück ging ein anderer Schicksalsschlag voraus

Walburga und Fritz Datz, die Großeltern von Peter, bauten 1938 ihr Haus in Perach, das noch heute in der Nähe der Bahnunterführung steht. Dort wohnten sie mit ihren beiden Töchtern Hilde und Wally. Fritz fiel 1941 im Grenzgebiet der heutigen Ukraine und Belarus. Er war der erste Kriegstote der Gemeinde Ainring. Walburga war nun mit den Mädchen auf sich alleine gestellt. „Sie hat jedes Zimmer in dem kleinen Haus an Verwandte vermietet, damit sie irgendwie über die Runden kam“, erzählt Peter Datz. Sie nahm eine fünfköpfige Familie und einen einzelnen Zimmerherrn auf. Nur so war es ihr möglich, das Haus langsam abzubezahlen. Besonders wichtig war dabei auch ihr Obst- und Gemüsegarten. „Bis ins hohe Alter hat sie sich selbst versorgt.“

Walburga und Fritz Datz mit ihren Töchtern
Walburga und Fritz Datz mit Hilde und Wally vor dem neuen Haus © Peter Datz

Schweres Eisenbahnunglück an Heiligabend

Am 24. Dezember 1943 jedoch geschah gegen 22.30 Uhr das schlimme Unglück: Damals waren viele Züge noch nicht mit einer Druckluftbremse ausgestattet. Die Wagen mussten am Ende des Zuges mit Handbremsern besetzt werden. Ein derartiger Güterzug fuhr in der besagten Nacht von Freilassing in Richtung Teisendorf und war mit zwei Frauen als Bremserinnen und einem reaktivierten Schaffner als Schlussbremser besetzt. Als an einem Wagen des Handbremsteils die Zugstange riss, rollten aufgrund des Gefälles die Waggons plötzlich rückwärts nach Freilassing. Die beiden Bremserinnen sprangen in Panik ab, ohne die Handbremse zu ziehen. Der Schaffner war eingeschlafen und bekam von dem Vorfall nichts mit.

Ein aus Freilassing kommender Güterzug prallte schließlich auf der Höhe des Hauses von Walburga Datz mit dem zurück laufenden Zug zusammen. Mehrere Waggons schoben sich auf den Gleisen ineinander und türmten sich hoch auf. Die beiden Zugführer wurden schwer verletzt, einer von ihnen verstarb kurze Zeit später. Der Schaffner wurde aus dem Bremserhaus geschleudert. „Er war nur leicht verletzt und hat sich das Nasenbein gebrochen. Er ist dann bei meiner Oma in der Küche auf der Couch gelegen. Sie hat den Doktor geholt.“

Harte Jahre wegen verwüstetem Garten

Auf dem Grundstück der Kriegswitwe lagen 12 Güterwaggons, die mit Getreide beladen waren und den Garten völlig verwüsten. Das Haus der schlafenden Bewohner blieb zum Glück verschont. Doch für Walburga Datz begann damit eine schwere Zeit. Das Gelände wurde abgesperrt. Es war strengstens verboten, sich aus den Waggons zu bedienen. Harte Strafen drohten. Das scherte allerdings einige umliegende Bauern nicht. Sie kamen mit Anhängern und befüllten diese. „Die beiden kleinen Mädchen, damals vier und sieben Jahre alt, schlichen sich dann einmal bei Nacht und Nebel und mit Todesangst zu den Waggons, um noch ein paar Reste zu ergattern“, so Peter Datz über seine Mutter und Tante. „Meine Oma hat immer wieder erzählt, dass ihr kein Mensch geholfen hat.“ Es dauerte ganze zwei Jahre, bis der Schaden beseitigt war und Walburga Datz neue Obstbäume pflanzen konnte. 1947 heiratete sie erneut und bekam mit ihrem Mann Ludwig Heigermoser noch einen Sohn.  

Walburga und Peter Datz
Oma Walburga und Peter Datz errichten ein Marterl für Opa Fritz. Im Hintergrund die Bahnlinie. © Peter Datz

Die Angst bleibt

Das Anwesen ist nach wie vor in Familienbesitz. Peter Datz ist beunruhigt über die Geisterfahrt der Lok am 20. Januar. „Wir haben die letzten Jahre und Jahrzehnte gedacht, dass so etwas heute nicht mehr passieren kann. Die Waggons werden ja inzwischen gebremst. Der kürzliche Vorfall mit der brennenden Baumaschine hat uns eines besseren belehrt, dass bei ungünstigen Voraussetzungen das gleiche wie damals hätte passieren können.“

Peter Datz hat die Informationen zu dem Unfall im Jahr 1943 von der Stadt Freilassing erhalten. Leider konnte er weder über die Bundesbahn, noch über das DB-Museum, die Stadt Freilassing, den Lokschuppen oder per Facebook-Aufruf Fotos von dem Unglück ausfindig machen. „Meine Oma hat mir aber immer wieder im Garten gezeigt, wo alles gelegen ist.“ Sogar seine inzwischen demente Tante, die er pflegt, erinnert sich bis heute an den Vorfall. Zusammen mit seiner Großmutter hat er für den im Krieg gefallenen Großvater ein Marterl auf dem Grundstück errichtet.

mf

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