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Hirsch-Abschüsse in der Notzeit werfen viele Fragen auf

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Von: Martin Vodermair

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Hirsch im Schnee
Drei Hirsche wurden Ende Januar in Bernau und Sachrang erschossen. © picture alliance / dpa

Bernau/Aschau i. Ch. – Der viele Schnee hat das Rotwild im Januar auf der Suche nach Nahrung von den Bergen in die Täler getrieben. In dieser Notzeit wurden in Bernau und Sachrang drei Hirsche erschossen. Abschüsse, die viele Fragen aufwerfen.

Seit dem starken Schneefall zu Beginn des Jahres herrscht für das Rotwild in unseren Bergen Notzeit. Nahrung ist Mangelware und diese Not treibt die Tiere in die Täler. Das Bundesjagdgesetz sowie das Bayerische Jagdgesetz schreiben vor, dass in der Notzeit für eine angemessene Wildfütterung zu sorgen ist. Des Weiteren heißt es im Bundesjagdgesetz, dass es untersagt ist, "in Notzeiten Schalenwild in einem Umkreis von 200 Metern von Fütterungen zu erlegen".

"Ein Graubereich", erläutert Paul Höglmüller, Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten, auf Nachfrage unserer Redaktion. Es bestehe also keine wirkliche Verpflichtung, das müssten die Verantwortlichen der Jagdreviere für sich selbst entscheiden. Die Bayerischen Staatsforsten hätten den Jagdbetrieb laut Höglmüller aber nach Beginn des starken Schneefalls eingestellt, obwohl die Jagdzeit für Rotwild bis Ende Januar aufrechterhalten blieb.

Dies bestätigte auf Nachfrage auch Michael Fischer, Pressesprecher des Landratsamtes Rosenheim, in dem die untere Jagdbehörde angesiedelt ist. Demnach habe man die Revierleiter zwar angewiesen, das Wild zu füttern, "die Jagdzeit wurde aber nicht verändert".

Futtermangel treibt das Rotwild in Notzeiten in die Täler.
Futtermangel treibt das Rotwild in Notzeiten in die Täler. © picture alliance / Swen Pförtner

Trotz der Legitimation und des Graubereichs erhitzen drei Hirsch-Abschüsse Ende Januar die Gemüter - und es zeigen sich unterschiedliche Philosophien unter den Jägern in der Region.

Fall 1: Zwei unberechtigte Abschüsse in Bernau?

Am 31. Januar - dem letzten Tag der offiziellen Jagdzeit für Rotwild - sind im Gemeindebereich von Bernau von einem Jäger zwei Hirsche erschossen worden - zwei Hirsche, die laut Franz Sommer, dem 1. Vorsitzenden der Jägervereinigung Rosenheim, nicht hätten erlegt werden dürfen. Laut Sommer habe der Jäger einen Hirsch der Klasse 1 und einen der Klasse 2 erschossen (Hegerichtlinien samt Klasseneinteilung). Laut Abschussplan des Reviers hätte allerdings nur ein Hirsch der Klasse 3 erlegt werden dürfen. Weiter stehe im Raum, so Sommer, ob sich der Jäger an das Nachtschussverbot gehalten hat, denn eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang dürfe nicht mehr gejagt werden.

Auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte Dieter Bezold, Polizeihauptkommissar der Polizeiinspektion Prien, dass diese Vorwürfe im Raum stehen und in dieser Angelegenheit vonseiten der Polizei auch ermittelt werde. Aufgrund der laufenden Ermittlungen konnte Bezold aber keine weiteren Details bekannt geben.

Auch das Landratsamt Rosenheim konnte auf Anfrage wegen der laufenden Ermittlungen keine Aussage treffen. Pressesprecher Michael Fischer erläuterte aber im Allgemeinen, welche Strafen einem Jäger drohen, der sich nicht an das Jagdgesetz und den Abschussplan hält: "In der Regel handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die ein Bußgeld und auch den Entzug des Jagdscheins zur Folge haben kann." In schlimmeren Fällen - insbesondere, wenn es sich um Wilderei handelt - könne auch in Richtung einer Straftat ermittelt werden.

Fall 2: Ein berechtigter Abschuss in Sachrang?

Auf den zweiten Fall wurde unsere Redaktion über ein anonymes Schreiben aufmerksam gemacht. In dem Schreiben erzählt ein Skitourengeher, wie er im Bereich der Bayerischen Staatsforsten am Abend des 28. Januars eine grauenhafte Entdeckung machte. Demnach sei er bei Huben vom Radweg aus einer Blutspur gefolgt und habe die Innereien eines großen Tieres gefunden. (Anmerkung der Redaktion: Dass der "Aufbruch", die Innereien eines Tieres, im Wald als Nahrung für andere Wildtiere verbleibt, ist eine allgemein übliche Praxis)

Auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte Höglmüller, der Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten, dass der zuständige Jäger einen etwa fünf bis sechs Jahre alten Hirsch erschossen hat. "Um Schaden für Leib und Leben abzuwenden", wie Höglmüller betont. Der Hirsch habe eine Gefahr für den Straßenverkehr dargestellt.

Laut Höglmüller habe es drei Hirsche gegeben, die sich im Januar in einem kleinen Wald direkt neben der Kreisstraße aufhielten. Um die Gefahr für den Straßenverkehr abzuwenden, habe man sich dazu entschlossen, die Tiere zu betäuben und in die Fütterung nach Grattenbach zu bringen. Am Tag der Narkotisierung, die nur ein Tierazt durchführen darf, sei ein Hirsch verschwunden gewesen. Es sei zudem nur geglückt, einen Hirsch zu narkotisieren. Dem dritten Hirsch sei die Flucht gelungen.

Nachdem sich laut Höglmüller die Schneelage in der Folge aber gebessert habe, sei eine Narkotisierung nicht mehr möglich gewesen, denn dafür müsse man bis auf zehn bis 15 Meter an das Tier herankommen. Ende Januar sei der Schnee aber bereits verharscht gewesen und der Hirsch hätte flüchten können, da er nur noch 20 bis 30 Zentimeter im Schnee eingesunken wäre. "Da aus unserer Sicht aber weiterhin ein großes Risiko für den Straßenverkehr bestand, haben wir uns letztendlich für den Abschuss entschieden", so Höglmüller.

Auf Anfrage beim Landratsamt Rosenheim bestätigte Pressesprecher Michael Fischer, dass der Straßenverkehr "eine Begründung für den Abschuss sein kann". Auch Dieter Bezold von der Polizeiinspektion Prien bestätigte, dass der Inspektion dieser Fall mitgeteilt wurde. Aus polizeilicher Sicht gebe es hier aber keine Anhaltspunkte für Ermittlungen. Bezold bestätigte auch, dass es im Bereich der Polizeiinspektion Prien im Januar zu einer extrem starken Häufung an Wildunfällen gekommen ist, weshalb auch eine entsprechende Pressemitteilung veröffentlicht wurde, um die Autofahrer zu warnen.

Rein rechtlich war der Abschuss in Sachrang also legitim. Fragen bezüglich des Tierschutzes wirft er allerdings auf. Insbesondere die Jägervereinigung Rosenheim ist über die Begründung des Abschusses empört. Vorsitzender Franz Sommer: "Dann müssten wir ja jeden Tag einen Hirsch erschießen. Das ist absolut kein Argument!" Hirsche seien nicht blöd und würden sich nicht mitten auf die Straße stellen und sagen: 'Bitte fahrt's mich zam', so Sommer. Ein Abschuss käme für Sommer nur dann infrage, wenn sich ein Hirsch ständig in unmittelbarer Nähe - bis zu 50 Meter - einer Straße aufhalten würde. 

Im Sachranger Fall bestätigte Höglmüller, dass die Abschussstelle "etwa 500 Meter von der Kreisstraße entfernt" lag. Auch der anonyme Schreiber sprach von "zehn Minuten strammen Marsches bergwärts". Zu weit weg von einer Straße also, um einen Abschuss mit der Begründung „Sicherheit für den Straßenverkehr“ zu legitimieren? Höglmüller: "Ich habe ein absolut reines Gewissen und würde es genau so wieder machen. Wenn es zu einem Unfall gekommen wäre, hätten wir die Diskussion, warum wir nicht gehandelt haben."

Naturschutz versus Tierschutz

Bei den Gesprächen mit den Bayerischen Staatsforsten, der Jägervereinigung Rosenheim und weiteren Jägern wurde vor allem eines ersichtlich: Die unterschiedlichen Philosophien der heimischen Jäger - zwei Fronten, die aufeinander prallen.

Die Jägervereinigung wirft vor allem die Frage auf, wo in den Revieren der Bayerischen Staatsforsten der Tierschutz bleibe, denn der Grundsatz der Bayerischen Staatsforsten, der auch im Gesetz verankert ist, lautet: "Wald vor Wild".

Die Hirsch-Abschüsse brachten zwei Jäger-Philosophien zutage, die aufeinander prallen.
Die Hirsch-Abschüsse brachten zwei Jäger-Philosophien zutage, die aufeinander prallen. © picture alliance/dpa

Ist diese Frage also berechtigt? Steht der Tierschutz in den Revieren der Bayerischen Staatsforsten hinten an? Sollte hier mehr für den Tierschutz getan werden? Wir werden diesen Fragen weiter nachgehen...

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vod

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