So ticken Chinas Autofahrer

Peking - Motormesse in Peking: Warum Chinas Autofahrer so wichtig für die Industrie sind und warum Daimler eine Produktoffensive im Reich der Mitte gestartet hat.
Denk ich an China in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. So ähnlich dürfte sich Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche vor noch nicht allzu langer Zeit gefühlt haben. Denn der Absatz im Reich der Mitte dümpelte dort auch eher in der Mitte und hinkte hinter den anderen Premiumherstellern her. Doch mittlerweile kann Zetsche im Land des Lächelns auch selbiges wieder tun.
Nach einer erfolgreichen Reorganisation und Expansion des dortigen Vertriebs (noch mal über 100 Händler mehr) und einer Produktoffensive, die auch in China aufzugehen scheint, gehen die Geschäfte besser denn je. Bis 2015 sollen rund 300.000 Fahrzeuge jährlich dort abgesetzt werden.
Noch bis zum 29. April präsentieren internationale Autohersteller bei der 13. Motorshow in Peking ihre neuen Modelle und Zukunftsvisionen – und haben dabei immer auch die Wünsche der chinesischen Kunden fest im Blick. Das Riesenreich mit seinen 1,35 Milliarden Menschen gilt als Zuglokomotive der Weltkonjunktur und hat schon seit jeher die Fantasien der Autohersteller stimuliert.
Verglichen mit Autostaaten wie Deutschland und den USA, wo die Pkw-Durchdringung pro 1000 Einwohner bei 542 bzw. bei 724 liegt, sind es in China lediglich 75. „Da ist Luft nach oben,“ sagt die Daimler Trendmanagerin Alexandra Strassburger. Auch wenn sie in den chinesischen Megastädten manchmal recht dick ist und es auf absehbare Zeit keine entsprechenden ausreichendem Straßenkapazitäten geben wird und kann.
In Shanghai und Peking werden die Zulassungen mittlerweile schon gedeckelt, in der selten smoglosen Hauptstadt werden frei werdende Lizenzen nur noch verlost, in Shanghai meistbietend versteigert.
100 Städte mit über fünf Millionen Einwohnern
Zehn Riesenstädte über zehn Millionrn Einwohner zählt China, 100 Städte haben über fünf Millionen Einwohner, und Ansiedlungen von der Größe Münchens (also mit über einer Million Einwohner) gibt es 270-mal. Trotz der Verkehrsprobleme wollen die Chinesen immer mehr Auto fahren und weil es eine wachsende wohlhabende Mittelschicht gibt (auch dank der Löhne und Gehälter, die ausländische Firmen ihren Fachkräften zahlen), gilt das Premiumsegment als Wachstumsfaktor.
Doch nicht nur Daimler fischt in diesem Becken, sondern auch BMW oder Audi – und auch sehr erfolgreich. Was tun, um noch mehr Kunden zu gewinnen? Trendforschung nennt sich das. Vor zehn Jahren hat Daimler damit begonnen und beschäftigt mit diesem Thema mittlerweile in China 260 Fachleute (ohne Joint Ventures). Und der Bereich soll weiter wachsen.
Doch wie sieht Trendforschung aus in einem Land mit 56 Nationalitäten, 26 Dialekten und 292 lebenden Sprachen, in dem die Hälfte der Menschen in den Städten leben und die andere Hälfte auf dem Land, das zu jeweils einem Drittel aus Gebirgen (Hochgebirgen), Wüste und Ebenen besteht? Fotografieren, analysieren und die richtigen Schlüsse ziehen. Das ist der Job von Alexandra Strassburger.
Unserer Zeitung hat sie ein paar Trends verraten, auf welche die Chinesen, im wahrsten Sinn des Wortes, abfahren: Warum parken Chinesen in schräge Parkbuchten immer rückwärts ein? Weil sie beim rückwärts Ausparken keine Chance mehr hätten, in den extrem dichten Verkehr einzufädeln. Diese Technik lernt man übrigens ganz offiziell in der Fahrschule. Warum gibt es in China von vielen Autos Langversionen? Weil es sehr viele Leute gibt, die nur mit Chauffeur fahren. Das gilt zum Beispiel für die S-Klasse.
Aber warum baut Daimler auch die neue für den Mittelstand gedachte CKlasse mit verlängertem Radstand? „In China gibt es eine ausgeprägte Abholkultur“, stellt Alexandra Strassburger fest. „Ein Geschäftsfreund wird immer mit dem Auto gefahren.“ Und außerdem brauchen Chinesen mehr Platz im Fahrzeug, weil zur Familie – auch wohntechnisch – die Großeltern gehören.
Warum gibt es Gurtalarm-Stopper und warum liegen in so vielen Autos Nothammer, um die Scheiben zu zertrümmern? Das hat mit den diffusen Ängsten der Chinesen zu tun, nach einem Unfall den Gurt nicht mehr aufzukriegen. Der Hammer existiert, weil es bei der großen Überschwemmung in Peking vor zwei Jahren den tragischen Fall gab, dass sich ein Chinese in den Wasserfluten nicht mehr aus dem Auto befreien konnte. Daran denken die Menschen noch heute, übrigens in ganz China. Daneben spielt trotz einer unglaublichen Verspieltheit und Aufgeschlossenheit modernen Kommunikationstechniken gegenüber („Da sind die Chinesen weit voraus“, sagt Strassburger,) auch die traditionelle chinesische Medizin eine Rolle.
Zum Beispiel trinken die Chinesen gerne warmes Wasser. Hier muss Daimler darüber nachdenken, ob man diesem Bedürfnis technisch entgegenkommt, sagt Peter Gödecke, Experte für Research und Developement bei Daimler. „Wichtig ist auch die Harmonie in einem Fahrzeug“, meint er. „Form und Farbgebung müssen sich anpassen!“
Letztlich spielt natürlich auch das Markenbewusstsein eine Rolle. In den industrialisierten Regionen entlang des chinesischen Meeres noch mehr als im Binnenland. Noch. Deshalb will Mercedes zur Markenstärkung auch in Peking ein eigenes Museum bauen. Und bei der Werbung geht es darum, die Dynamik und die Sportlichkeit des Autobauers mehr in den Vordergrund zu bringen. Denn noch lautet ein chinesisches Sprichwort: „Im Mercedes sitzt man, im BMW fährt man!“
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